Wasserstoff auch für Gebäudeheizungen?
Ein Gastbeitrag von Thomas Unnerstall
In der Debatte um das zukünftige klimaneutrale Energiesystem in Deutschland (im Jahr 2045) spielen Wasserstoff und wasserstoffbasierte Brennstoffe eine zunehmende Rolle. Alle Experten sind sich darin einig, dass H2 ein Eckpfeiler dieses Energiesystems sein wird. Wie stark dieser Eckpfeiler sein muss, darüber gehen die Meinungen bzw. die entsprechenden Szenarien in den vorliegenden Studien allerdings weit auseinander – von unter 400 TWh/a (ca. 25% des Primärenergieverbrauchs (PEV)) bis über 800 TWh/a (über 40% des PEV).
Analysiert man die diesen Differenzen zugrunde liegenden Daten näher, so sind die beiden wichtigsten Ursachen (die zum Teil miteinander zusammenhängen):
- unterschiedliche Annahmen über den Erfolg von Energieeffizienz-Maßnahmen, d. h. über die Höhe des PEV in 2045 (1600 TWh bis zu 2100 TWh).
- unterschiedliche Auffassungen bezüglich des Grades der Elektrifizierung (35 % bis zu 55% Strom im Endenergieverbrauch, jeweils inkl. Umweltwärme bei WP).
Inhalt
Experten-Streit über den Gebäudesektor
Am deutlichsten kommen diese Unterschiede im Gebäudesektor zum Tragen. Man muss leider konstatieren, dass hier die Debatte auch unter Experten zunehmend polarisiert geführt wird:
Da ist z. B. von „Irrsinn“ und von „Unseriösität“ die Rede, wenn Wasserstoff auch für die Raumheizung für sinnvoll angesehen wird. Solche Charakterisierungen sind schon allein deshalb nicht angebracht, weil niemand wirklich weiß, wie sich das Energiesystem insgesamt und speziell der Gebäudesektor in den nächsten 20 Jahren entwickeln werden – dazu sind die technischen Entwicklungen zu schnell, die politischen Rahmenbedingungen zu unsicher und auch die relevanten internationalen Parameter zu offen.
Im Gebäudesektor gibt es aus heutiger Sicht vor allem drei technische Optionen zur Dekarbonisierung in größerem Umfang (Solarthermie und Biomasse können kleinere Beiträge liefern):
- elektrische Wärmepumpe (WP)
- dekarbonisierte Fernwärme (FW)
- Wasserstoff und wasserstoffbasierte Brennstoffe (H2)
Es ist dabei völlig unstrittig, dass unter diesen drei Optionen die Wärmepumpe – isoliert (d. h. für das einzelne Gebäude) betrachtet – die effizienteste, preiswerteste und damit beste Option darstellt; und auch, dass in vielen Fällen der weitere Ausbau der Fernwärme sinnvoll ist.
Diese isolierte Betrachtung reicht aber nicht aus – man kann nicht einfach (nahezu) alle Gebäude in Deutschland mit Wärmepumpen versorgen. Das heutige Stromnetz kann die dafür erforderlichen Leistungen nicht transportieren.
Mit anderen Worten: Es geht nicht nur um die optimale einzelne Heizung – es geht um das Optimum entlang der gesamten Wertschöpfungskette: Importe/Erzeugung der Energieträger, Netze/Infrastruktur, Anlagen bei den Verbrauchern (übrigens auch unter Berücksichtigung von Aspekten wie Genehmigungsverfahren, Planungszeiträumen, Verfügbarkeit von Fachleuten, etc.).
Was ist das Optimum entlang der gesamten Wertschöpfungskette?
Etwas plakativ auf den Punkt gebracht: Verzichtet man auf die Option Wasserstoff und setzt im Kern auf Wärmepumpen und Fernwärme, ist der erforderliche Ausbau der Infrastruktur (Strom- und FW-Netze) potentiell langwierig und teuer, dafür sind die Energieträger relativ kostengünstig. Beim Einsatz von Wasserstoff sind die Infrastrukturkosten relativ niedrig (das Erdgasnetz muss nur umgerüstet werden), dafür ist der Energieträger potentiell knapp und teuer.
Anders formuliert: Die Verfechter der Auffassung „Wasserstoff hat im Gebäudesektor nichts zu suchen“ müssen erklären, wie teuer und wie realistisch es ist, innerhalb von 20 Jahren eine komplette, gut funktionierende Infrastruktur (das Erdgasnetz) zum großen Teil aufzugeben und dafür die anderen beiden Netze (Strom und FW) auszubauen; die Verfechter der Szenarien, die auch 2045 einen Marktanteil von Gas (also H2) im Gebäudesektor von 30 bis 50 % sehen, müssen erklären, woher und zu welchem Preis denn die entsprechenden rund 150-200 TWh/a Wassertoff nach Deutschland kommen sollen. (Zu den letzteren gehört übrigens auch die DENA, deren soeben erschienene neue Studie „Aufbruch Klimaneutralität“ einen Marktanteil für Gas in 2045 von ca. 35% prognostiziert).
Drei Anmerkungen zu dieser Diskussion um Wasserstoff im Gebäudesektor
Ich möchte diese Frage hier nicht erschöpfend diskutieren, sondern nur drei Anmerkungen machen:
(1) Es scheint etwas in Vergessenheit geraten zu sein, dass die DENA-Studie bereits 2018 die beiden Alternativen – weitestgehende Elektrifizierung des Gebäudesektors vs. massiver Einsatz von Wasserstoff – auch unter Kostengesichtspunkten bewertet hat und zu einem recht eindeutigen Ergebnis gekommen ist: die „All-Electric“-Welt ist voraussichtlich deutlich teurer; v. a. aufgrund des notwendigen Ausbaus der Stromnetze (+ 10 Mrd.€/a Netzkosten) und auch der höheren Investitionen in Gebäudesanierung und Heizungssysteme (Wärmepumpen sind 2-3 x teurer als Gasheizungen). Dies Ergebnis ist umso bemerkenswerter, als dass die Annahmen der DENA-Studie bzgl. der Kosten von Wasserstoff deutlich über den heutigen Kostenschätzungen lagen.
(2) Beim Pfad mit Wasserstoff im Gebäudesektor ist klar, dass wir die rund 150-200 TWh importieren müssten. Wir sollten uns in diesem Zusammenhang von zwei Vorstellungen lösen, die zumindest implizit in vielen Diskussionen immer wieder eine Rolle spielen:
- Die Vorstellung, dass (erneuerbare) Energie irgendwie „knapp“ sei, und dass gerade in sonnenreichen Regionen der dort produzierte grüne Strom erst einmal lokal verbraucht statt damit Wasserstoff für den Export produziert werden sollte. Diese Alternative stellt sich aufgrund des Überflusses an Energieangebot überhaupt nicht bzw. lediglich für kurze Zeit. Nur ein Beispiel dazu: Saudi-Arabien bräuchte gerade einmal 2-3 % seiner Landesfläche, um per PV + Elektrolyse genauso viel Energie in Form von grünem Wasserstoff zu exportieren, wie es aktuell in Form von fossilen Brennstoffen exportiert.
- Die Vorstellung, Deutschland sollte in Zukunft möglichst „energieautark“, d. h. unabhängig von Energie-Importen aus dem Ausland sein. Dies ist für ein Land, das umgekehrt einen erheblichen Teil seines Wohlstands aus Exporten schöpft, ein politisch und auch moralisch inadäquates Ziel – zumal weil, angesichts der sich jetzt schon abzeichnenden Vielzahl von potentiellen Exporteuren von klimaneutralem Wasserstoff (Südeuropa, Nordafrika, Naher Osten, Australien, Südamerika, Ukraine, u.a.), eine politische Abhängigkeit nicht zu erwarten ist.
(3) Was die zu erwartenden Kosten von (importiertem) klimaneutralem Wasserstoff angeht, so werden die Schätzungen für 2030 / 2040 laufend nach unten korrigiert – spätestens für 2040 kann man 40 €/MWh als obere Grenze ansehen. Damit lägen die Importkosten bei max. 8 Mrd.€/a; keine wirklich problematische Größenordnung.
Mein Fazit
In Deutschland können und sollten wir in den nächsten 10 Jahren beide Wege mit hoher Konsequenz verfolgen – d. h. sowohl den Ausbau der Wärmepumpe (und der Gebäudesanierung) forcieren als auch einen spürbaren Beitrag (technologisch und investiv) zur Entwicklung eines Weltmarktes für dekarbonisiertes H2 und damit zum globalen Klimaschutz leisten. Konkrete Ziele für 2030 sollten sein: 5-6 Mio. WP, 120-150 TWh Importe von Wasserstoff. 2030 kann man dann auf viel besserer Informationsbasis entscheiden, wie das Energiesystem im Gebäudesektor 2045 am bestens aussieht.
Es macht aus meiner Sicht wenig Sinn, heute einen Weg apodiktisch als den einzig richtigen zu erklären.
Der Autor Thomas Unnerstall
Dr. Thomas Unnerstall ist Berater und Buchautor. Nach der Promotion in Physik arbeitete er zunächst mehrere Jahre im Umweltministerium Baden-Württemberg und war dann über 20 Jahre lang in leitenden Funktionen in der Energiewirtschaft tätig.
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