Der Strommarkt wird flexibel, was bedeutet das?
Ein flexibler Strommarkt sorgt nicht nur für Stabilität im Netz, er macht die Stromversorgung nachhaltiger und günstiger. Wir kennen bisher nur einen starren Markt mit festen Preisen, der für alle Beteiligten gut planbar ist. Die zunehmende Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien erfordert jedoch Veränderungen und Anpassungen für ein stabiles und kosteneffizientes Stromnetz.
Mein Artikel erklärt den Wandel des Strommarktes, die Bedeutung der Flexibilität im Stromsystem sowie mögliche Maßnahmen und Potenziale.
Inhalt
Strommarkt vor der Flexibilisierung
Die Stromerzeugung basierte über viele Jahrzehnte hauptsächlich auf planbaren, steuerbaren konventionellen Kraftwerken. Auch der Verbrauch war vorhersehbar, denn Haushalte hatten ihr Standardlastprofil und bei den meisten Unternehmen waren die Lasten, ihr Verbrauch, planbar. Nur bei unerwartet hohem Stromverbrauch waren die Versorger herausgefordert. Am Strommarkt, der Strombörse, gab es nur geringe Schwankungen, auch diese konnte man einschätzen und planen.
Durch die Planbarkeit hatte sich eine starre Tarifstruktur mit festen Strompreisen etabliert. Diese Preise waren für längere Zeit gültig und änderten sich nur bei einer Veränderung der Beschaffungskosten, der Umlagen und Abgaben. Weitere Änderungen gab es nicht, also keinen Anlass für Verbraucher, sich an eine Marktentwicklung anzupassen.
Solange der Anteil erneuerbarer Energien gering war, gab es keinen Grund, die starren Tarife zu ändern. Das sieht Anfang 2025 anders aus.
Erneuerbare Energien bringen Dynamik in den Markt
Inzwischen wird mehr als die Hälfte des Stroms durch erneuerbare Energien erzeugt. 2024 waren es 62,7 % der Nettostromerzeugung laut Energy Charts. Allein die schwankende Erzeugung aus Sonnen- und Windenergie betrug 47 %. Diese Zahlen zeigen, dass sich der Strommarkt deutlich verändert hat, die Erzeugung ist nicht wie früher planbar. Entsprechend der Erzeugung schwanken auch die Preise an der Strombörse und die Schwankungen nehmen zu.
Nach der Erzeugung ändert sich jetzt auch der Verbrauch. Immer mehr Menschen laden ihre Elektrofahrzeuge, wenn sie sie benötigen und nutzen Wärmepumpen ihrer Häuser und Wohnungen, wenn es kalt ist und sie heizen wollen.
Mit den bisher festgelegten Marktpreisen fehlte den Verbrauchern der Anreiz, ihren Verbrauch an die schwankende Stromerzeugung anzupassen.
Eine Abstimmung des Verbrauchs auf die Erzeugung würde jedoch den notwendigen Ausgleich zwischen Erzeugung und Verbrauch unterstützen und einen Beitrag zu einer sicheren Stromversorgung leisten. Auch Haushalte und Unternehmen könnten sich daran beteiligen.
Der Ausbau der erneuerbaren Energien und die zunehmende Elektrifizierung auf der Verbrauchsseite machen das Stromsystem immer komplexer und bringen es immer wieder an seine Grenzen. Im Frühjahr oder Sommer kann es zu Zeiten mit zu viel Strom im Netz kommen, wenn alle PV-Anlagen gleichzeitig einspeisen und der Verbrauch gering ist. Der Pfingstmontag ist ein Beispiel für solche Tage. Im Winter müssen genügend Kraftwerke in Betrieb sein, damit ausreichend Strom erzeugt werden kann.
Ein flexibler Strommarkt mit entsprechenden wirtschaftlichen Anreizen kann einen wichtigen Beitrag zur Netzstabilität und zur Kosteneffizienz der Energiewende leisten.
Was bedeutet die Flexibilität eines Stromsystems?
Wer flexibel ist, kann sich gut und schnell an veränderte Voraussetzungen anpassen. Flexibilität bedeutet auch Anpassungsfähigkeit an wechselnde Umstände.
Im Stromsystem verändern sich die Erzeugung und der Stromverbrauch ständig. Alle Akteure, wie Betreiber der unterschiedlichen Erzeugungsanlagen, Netzbetreiber und Verbraucher müssen sich im besten Fall an diese Veränderungen anpassen, damit ein Gleichgewicht für die Stabilität des Systems hergestellt werden kann.
Die Bundesnetzagentur, die für die Infrastrukturen in Deutschland zuständig ist, definiert die Flexibilität als eine “Veränderung von Einspeisung oder Entnahme in Reaktion auf ein externes Signal (Preissignal oder Aktivierung) mit dem Ziel, eine Dienstleistung im Energiesystem zu erbringen.”
Die Flexibilität zeichnet sich laut Bundesnetzagentur aus durch die
- Höhe der Leistungsveränderung,
- Dauer,
- Veränderungsrate,
- Reaktionszeit und
- den Ort.
8 Maßnahmen für Flexibilisierung des Stromsystems
Ein flexibles Stromsystem lässt sich auf verschiedenen Wegen erreichen. Ich habe eine Reihe von Möglichkeiten aufgeführt, die zu einer Flexibilisierung beitragen können. In Teilen sind sie bereits umsetzbar, andere sind Maßnahmen, die als Vorschläge von Verbänden oder Forschungseinrichtungen in der Diskussion sind.
1. Flexible Preise für Verbraucher
Dynamische Stromtarife oder variable Netzentgelte, also Preissignale des Marktes, ermöglichen Haushalten und Unternehmen, ihre Nutzung so weit wie möglich an schwankende Strompreise anzupassen.
2. Flexibilisierung der Erzeugung
Blockheizkraftwerke mit Biogas oder Wasserstoff sind flexible Anlagen zur Stromerzeugung, die an den Verbrauch oder an die Erzeugung von Strom aus Solar- und Windenergie-Anlagen angepasst werden können. Dafür müssen die regulatorischen Einschränkungen, die z. B. für Biogasanlagen bestehen, abgebaut werden.
3. Flexible Nutzung der Stromspeicher
Stationäre und mobile Stromspeicher werden geladen, wenn viel Strom im Netz verfügbar ist und entladen, wenn viel Strom benötigt wird. Sie haben unterschiedliche Einsatzzwecke, die auch kombiniert werden können. Dazu gehören die Erhöhung des Eigenverbrauchs, die Verschiebung der Einspeisung aus Solaranlagen und die Teilnahme am Regelenergiemarkt. Sie haben kurze Reaktionszeiten und können schnell auf Schwankungen im Netz reagieren, somit leisten sie einen Beitrag zur Stabilisierung der Netzfrequenz von 50,2 Hz.
4. Sektorenkopplung
Die Sektorenkopplung verbindet die Strom-, Wärme- und Gasnetze als auch den Mobilitätssektor miteinander. Strom aus erneuerbaren Energien wird zunehmend durch Wärmepumpen und Elektrofahrzeuge genutzt. Wärmepumpen können bei hohem Stromangebot über eine Smart-Grid-Schnittstelle (SG-Ready) aktiviert werden und erzeugte Wärme im Gebäude ohne Komfortverluste bei den Nutzern speichern. In einem flexiblen Strommarkt können sie bei einem hohen Angebot günstig Strom beziehen und zu seiner verstärkten Nutzung beitragen. Elektrofahrzeuge müssen nicht sofort geladen werden, wenn sie zum Beispiel an der heimischen Ladestation hängen. Wichtig ist nur, dass sie ausreichend geladen sind, wenn sie benötigt werden.
Große Energieverbraucher und Energieversorger können günstigen Strom nutzen, um Wärme für ihre Fernwärme (Power-to-Heat) oder Wasserstoff mit Elektrolyseuren (Power-to-Gas) zu erzeugen.
5. Anpassung der Stromhandelsmärkte
Stromhandel erfolgt deutschlandweit oder europaweit. Diese Strompreise sagen nichts über lokale Engpässe im Netz aus. Nur regionale Handelsmärkte könnten Erzeugung und Verbrauch vor Ort berücksichtigen. Die Regeln des Strommarktes müssen regional eine effiziente Einbindung flexibler Anlagen, wie Speichertechnologien, Lastmanagement und flexible Kraftwerke ermöglichen.
6. Verringerung der Erzeugungsanlagen, die ständig laufen müssen
Es gibt nach wie vor konventionelle Kraftwerke, die mit fossilen Energien betrieben werden. Sie können ihren Betrieb bei einem Überschuss an Strom nicht reduzieren und werden als Must-Run-Kraftwerke bezeichnet. Dazu gehören zum Beispiel Anlagen mit Kraft-Wärme-Kopplung, die neben Strom auch Wärme für die Fernwärme erzeugen. Mit fortschreitender Transformation der Wärmeversorgung auf erneuerbare Energien entfällt dieser Grund für den Dauerbetrieb der Kraftwerke.
7. Anpassung der Förderung für erneuerbare Energien
Die Förderung der erneuerbaren Energie ist momentan noch an einen festen Förderzeitraum gebunden. Bei der Umstellung der Förderung auf eine Mengenförderung kann eine zeitweise Reduzierung der Einspeisung zu einem späteren Zeitpunkt erfolgen ohne wirtschaftliche Verluste auf Seiten der Anlagenbetreiber.
8. Energy Sharing
Energy Sharing oder lokale Energiegemeinschaften können Stromerzeugung und -verbrauch vor Ort zusammenbringen und das Stromnetz entlasten. Regionaler Stromüberschuss wird durch Eigenverbrauch effizient verteilt. Gemeinschaften können ihre Angebote zur Flexibilisierung, beispielsweise Stromspeicher, bündeln und mit einer intelligenten Steuerung netz-, system- und marktdienlich einsetzen.
Quellen:
- BEE Studie Neues Strommarktdesign
- Next Kraftwerke: Flexibilität im Stromsystem
- VDE-Studie: Flexibilisierung des Energiesystems
Potenzial der Flexibilisierung
“Bringt das überhaupt etwas und wer möchte schon seinen Strombezug nach dem Wetter richten.” werden Sie als kritischer Mensch fragen. Doch die Potenziale zur Flexibilisierung sind in vielen Bereichen deutlich höher, als Sie sich vorstellen können.
Einige Zahlen aus unterschiedlichen Studien zeigen, wie groß die Flexibilisierung im Strommarkt bis 2030 sein kann:
- Batteriespeicher: Eine Studie der VDE ETG aus 2023 prognostiziert eine Speicherkapazität von 75 GW mit einem Volumen von über 100 GWh. Ende 2024 lagen den Übertragungsnetzbetreibern in Deutschland bereits Anschlussanfragen für Batteriespeicher mit 226 GW vor.
- Elektromobilität: Durch Verschiebung des Ladezeitpunktes von Elektrofahrzeugen entsteht eine Flexibilität von etwa 25 GW bis 2030, so die VDE ETG-Studie. Mit der Einführung des bidirektionalen Ladens könnte dieser Wert deutlich ansteigen.
- Power-to-Gas: Im Rahmen der Nationalen Wasserstoffstrategie wird eine Elektrolyseurleistung von 5 GW bis 2030 angestrebt. Bei einer Abschaltdauer von 8 Stunden, könnten 40 GWh Energie verschoben werden.
- Industrie: Das Flexibilitätspotenzial in der Industrie ist abhängig von der Branche. Für eine Zeit von unter fünf Minuten könnte sie die Nachfrage um 3,6 GW erhöhen, bei 15 Minuten läge die Lasterhöhung bei 1,5 GW. Auf der anderen Seite könnten sie für fünf Minuten auf 5 GW und für 15 Minuten auf 3,3 GW verzichten.
- Haushalte: Auch Haushalte können durch Elektrofahrzeuge, Wärmepumpen und Batteriespeicher zur Flexibilität des Stromsystems beitragen. In einer Studie hat die Forschungsstelle für Energiewirtschaft für die Agora Energiewende 2023 ein Potenzial von 100 Terawattstunden errechnet – mehr als 10 % des gesamten Stromverbrauchs.
Ein flexibel steuerbares Portfolio aus Anlagen zur Erzeugung von Strom aus Bioenergie, Wasserkraft, Geothermie, grüner KWK und Speichern könnte bis 2030 38 GW zur Verfügung stellen. Die genannte Studie des VDI-ETG geht sogar von einer flexiblen Erzeugungsleistung von 110 bis 130 GW aus.
Fazit
Ein flexibler Strommarkt sorgt dafür, dass sich Angebot und Nachfrage dynamisch anpassen. Der regulatorische Rahmen muss so verändert werden, dass Hemmnisse entfallen und Flexibilität unterstützt wird. Eine Flexibilisierung funktioniert nur in einem digitalisierten Stromsystem, mit intelligenten Messsystemen für die Steuerung und Abrechnung sowie mit standardisierten Kommunikationsschnittstellen. Auf dem Weg zum flexiblen Stromsystem sind also noch viele Aufgaben zu bewältigen.