Rolle der Energieeffizienz in der Energiewende – Interview mit Prof. Jochem
Damit Energieeffizienz zu einem bedeutenderen Thema innerhalb der Energiewende wird, braucht es mehr Menschen, die sich intensiv mit dem Thema befassen, die Probleme offen ansprechen und neue Wege suchen für eine effizientere Energienutzung. Es reicht nicht auf Chancen zu warten oder auf politische Initiativen zu hoffen. So kam immerhin der große Erfolg der erneuerbaren Energien erst zustande, durch Visionäre wie Hermann Scheer und Hans-Josef Fell.
Im Bereich der Energieeffizienz gibt es verschiedene Personen, die einem da einfallen. Ich möchte heute in diesem Beitrag jemand zu Wort kommen lassen, der meines Erachtens sehr viel für die Energieeffizienz in der Industrie in Deutschland getan hat und Probleme offen anspricht, wie kaum ein anderer.
Es geht um Prof. Eberhard Jochem, der laut Wikipedia ein „international anerkannter Wissenschaftler im technisch-ökonomischen Feld der rationellen Energieanwendung sowie des Umwelt- und Klimaschutzes“ ist. Er gilt als der Begründer der Energieeffizienz-Netzwerke für Unternehmen in Deutschland und ist Preisträger des B.A.U.M. Umweltpreis Wissenschaft 2014.
Inhalt
- Interview mit Prof. Jochem und Frau Dipl.-Ing. Mielicke über Energieeffizienz
- Entscheidung für kurze Amortisationszeiten ist Ende von vielen Energieeffizienz-Maßnahmen trotz hoher interner Verzinsung
- Energieeffizienz-Netzwerke sind Motivation weiter sich mit Energieeffizienz zu befassen
- Stimmen zu den Energieeffizienz-Netzwerken
Interview mit Prof. Jochem und Frau Dipl.-Ing. Mielicke über Energieeffizienz
Gemeinsam mit Frau Dipl.-Chem.-Ing. Ursula Mielicke, Projektleiterin der Energieeffizienz-Netzwerke Projekte, hat er mir einige Fragen zur Entwicklung und Bedeutung der Energieeffizienz in Deutschland beantwortet:
energynet.de: Eigentlich müsste Energieeffizienz bei den steigenden Energiepreisen immer attraktiver werden. Ist das auch so?
Prof. Jochem/ Mielicke: In der Theorie ja, aber bei den privaten Haushalten steigen auch die Einkommen, da achtet man wenig auf Energieeffizienz – Ausnahmen bestätigen diese Regel. Bei den Unternehmen betragen die Energiekosten 2 bis 3 Prozent von den Produktionskosten, da achtet man auch nicht viel auf Energieeffizienz. Ausnahmen sind wenige energieintensive Branchen und energiebewusste Familienunternehmen.
Warum kommt Energieeffizienz nicht voran und spielt immer noch eine Nebenrolle in der Energiewende?
Energiepolitik ist seit vielen Jahrzehnten in Deutschland Energieangebotspolitik: erst Erdöl nach dem zweiten Weltkrieg, dann Kernenergie ab den 1960er Jahren, dann Erdgas und ab Mitte der 1990er Jahre erneuerbare Energien. Für Energieeffizienz hat sich bisher keine Bundesregierung – aber auch kein großer Wirtschaftsverband und auch nicht die Medien – ernsthaft interessiert.
Energieeffizienz ist medial nicht attraktiv, ist kompliziert, zu realisieren in tausenden von technischen und organisatorischen Lösungen und in seinen Anwendungen häufig speziell. Für die Energieanbieter ist Energieeffizienz Umsatz- und Rendite-mindernd, also wehren sich die meisten dagegen, auch wenn sie es heute nicht mehr offen sagen.
Die Internationale Energie-Agentur spricht bei Energieeffizienz von der wichtigsten oder der größten Energiequelle die wir haben mit dem Stichwort „first fuel“. Gibt es dadurch einen weltweiten Schub für Effizienz-Technologien?
Die IEA sagt dies seit etwa 10 Jahren. Die Regierungen müssen die Ideen der IEA nicht aufgreifen, wohl aber die Meinungen ihrer Wähler und der Lobby der Wirtschaft. Ein weltweiter Schub käme dann zustande, wenn es in der Energie-anwendenden Wirtschaft in breiten Kreisen bekannt würde, dass man Energieeffizienz-Investitionen mit durchschnittlich 30 % interner Verzinsung über viele Jahre realisieren könnte. Sehr viele Unternehmen wissen dies nicht; und andere, die es wissen, kümmern sich wegen anderer Prioritäten nicht darum, ihre Energiekosten zu senken.
Welche großen Hindernisse haben Sie bei der Energieeffizienz identifiziert?
Der bereits angesprochene geringe Anteil der Energiekosten an den Produktionskosten ist – mit Ausnahme weniger energieintensiver Industriezweige – ein Grund. Hinzu kommt, dass insbesondere private Haushalte, kleine und mittlere Unternehmen sowie Gebietskörperschaften keine oder sehr geringe energietechnische Kenntnisse haben. Selbst in der mittelständischen Industrie hat der Energieverantwortliche i.d.R. auch andere Aufgaben (Umweltschutz, Betriebssicherheit), die er bewältigen muss. Er hat somit nur wenig Zeit, sich Lösungsmöglichkeiten zur Energieeffizienz-Steigerung in seinem Betrieb zu widmen.
Entscheidung für kurze Amortisationszeiten ist Ende von vielen Energieeffizienz-Maßnahmen trotz hoher interner Verzinsung
Die Entscheidung über Energieeffizienz-Investitionen via kurze Amortisationszeiten, einem Risikomaß, ist der Tod vieler Energieeffizienzmaßnahmen! Zwei bis drei Jahre werden i.d.R. nur akzeptiert. Bei den meist langlebigen Maßnahmen zur Energieeffizienz (z.B. hocheffiziente Elektromotoren, Druckluftanlagen oder Ventilatorensysteme, Kessel- oder Beleuchtungsanlagen) bedeutet dies ein Abschneiden von Möglichkeiten mit einer internen Verzinsung von 30 % und mehr! Selbst die Anbieter der Effizienz-Lösungen schließen sich meist dieser Bewertung allein des Risikos ihrer Anlagen durch ausschließliche Angaben zur Amortisationszeit an.
Die Hausbanken entscheiden meist allein nach der Bonität einer Firma, wenngleich eine hoch rentable Energieeffizienz-Investition die Gewinnlage des Kunden verbessern würde. Zudem sind die Maschinen- und Anlagenhersteller vielfach nicht auf Nachfragen nach dem Energieverbrauch ihrer Anlagen und Maschinen eingestellt, oder sie fürchten eine Differenzierung ihrer Produkte mit aufwändigerer Planung und kleinere Produktionsserien.
Sie haben die lernenden Energieeffizienz-Netzwerke nach Deutschland gebracht, welchen Beitrag können diese Netzwerke leisten, um Energieeffizienz zu steigern?
Im Projekt „30 Pilot-Netzwerke“ konnte in 366 Industriestandorten eine durchschnittliche Energieeffizienzsteigerung von 2,1% pro Jahr und eine CO2-Minderung um 2,3% pro Jahr erreicht werden. Die Energieeffizienzsteigerung entspricht einer Verdopplung des durchschnittlichen energetischen Fortschritts in der deutschen Industrie! Legt man die Erfahrungen der Schweiz zu Grunde könnten bis 2020, ohne Änderungen der politischen Rahmenbedingungen, etwa 400 Netzwerke in Deutschland entstehen und insgesamt bis 2020 rd. 50 PJ (oder 14 TWh) Energie einsparen. Das sind fast 2 % pro Jahr weniger industrieller Energiebedarf, und dieser Erfolg ließe sich noch etwas erhöhen, wie das Beispiel in der Schweiz zeigt.
Die Netzwerkarbeit führt jedoch nicht nur zu einer Energieeinsparung im teilnehmenden Betrieb, sondern auch zu höheren Ansprüchen an eine gute und umfassende Energieberatung, die sich nicht nur auf wenige Ansatzpunkte konzentriert. Sie fordert von Maschinen- und Anlagenherstellern mehr Informationen zu Energieverbrauch, Lebenszykluskosten und Wirtschaftlichkeitsbetrachtungen sowie eine steigende Energieeffizienz der Anlagen. Neue Entwicklungen stärken die Wettbewerbsposition der deutschen Industrie!
Insbesondere das Lernen von einander trägt zur schnelleren Umsetzung von Maßnahmen bei. Grundlage ist die energetische Beratung, die bewusst auch Ideen aus den Betrieben mit einbezieht und diese sowohl energetisch wie hinsichtlich der Wirtschaftlichkeit bewertet. Die energietechnischen Berater können auf elektronische und wissenschaftliche geprüfte Berechnungshilfen für die verschiedenen Querschnittstechnologien zurückgreifen.
Energieeffizienz-Netzwerke sind Motivation weiter sich mit Energieeffizienz zu befassen
Durch die gemeinsame Zielsetzung über die Laufzeit des Netzwerkes von drei bis vier Jahren wird ein Anreiz gesetzt, am Thema dran zu bleiben. Das jährliche Monitoring zeigt, wo der einzelne Betrieb und das Netzwerk auf dem Zielpfad stehen.
Drei- bis viermal im Jahr bereitet der Moderator ein Netzwerktreffen mit von den Betrieben gewünschten Themen vor und moderiert es. Die Treffen finden in einem der teilnehmenden Betriebe statt, so dass neben dem mündlichen Austausch auch umgesetzte Maßnahmen angeschaut werden können. Ergänzend werden häufig auch Vorträge externer Experten angeboten.
Was muss sich noch ändern, damit Energieeffizienz zu einer tragenden Säule der Energiewende werden kann? Von Ihnen stammt der Begriff der „gehemmten wirtschaftlichen“ Effizienzpotenziale. Andere bezeichnen ‚Energieeffizienz‘ als einen schlafenden Riesen.
Bundesregierung und die großen Wirtschaftsverbände müssen sich zu einem „Gemeinschaftswerk“ zusammenfinden, wie es die Energieethik-Kommission im Sommer 2011 formulierte. Geschieht dies nicht, geht das Lobbyieren für einzelne Energieträger und günstige Konditionen einzelner Gruppen bei den Energiepreisen weiter, schalten Medien und Politik nicht in realen Handlungen auf „Energieeffizienz“ um, dann wird die Energiewende scheitern. Die größten Impulse kommen schon seit einigen Jahren aus Brüssel – und nicht aus Berlin (vgl. Gebäudeeffizienz-Richtlinie, Energieeffizienz-Richtlinie).
Würden Sie in der Schaffung eines neuen Marktakteurs, etwa eines „nationalen Effizienzfonds“, wie ihn das Wuppertal Institut fordert, der „Energiesparprogramme standardisiert, ausschreibt, fördert evaluiert und klare Zielvorgaben in Form einzusparender kwh bekommt“ (Hennicke), einen Push-Effekt für einen Effizienz-Fortschritt erkennen?
Der Vorschlag eines nationalen Energiefonds ist im Grunde eine Auswegsuche infolge des oben nicht realisierten Gemeinschaftswerks von Bundesregierung und Wirtschaft. Es würde bei voller Implementation sicherlich einen erheblichen Energieeffizienz-Fortschritt bewirken. Das Problem liegt in der Langfristigkeit von Institutionen, die häufig über der Zeit an Ideenreichtum, Qualität und Engagement ihrer Mitarbeiter erlahmen, und an der Komplexität der Energieeffizienz, die permanente Praxisnähe benötigt, die eine Behörde nicht leisten kann. Könnte man diese Probleme meistern, wäre der Energieeffizienzfonds ein Schlachtschiff der Energieeffizienz.
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