Warum wir beim Strom-Monopoly von RWE und E.ON nicht mitspielen
Ein Gastbeitrag von Joanna Albrecht und Sven Kirrmann für die Initiative #wirspielennichtmit von NATURSTROM et al.
2018 ging ein jäher Ruck durch den Energiemarkt – die beiden Rivalen RWE und E.ON verkündeten, dass sie ihre Geschäftsaktivitäten unter sich aufteilen und den bis dato intensiven Wettbewerb untereinander einstellen wollen. Obwohl die Meldung überraschenderweise kaum außerhalb der Energiebranche wahrgenommen wurde, bleibt eine derartig grundlegende Neusortierung des Markts auch über den eigentlichen Sektor hinaus nicht folgenlos. Sowohl das Bundeskartellamt als auch die EU-Kommission überprüften den Deal – gaben ihn 2019 aber entgegen massiver Bedenken anderer Marktteilnehmer unter nur geringen Auflagen frei. Dabei ist nicht nur der Deal an sich eine potenzielle Gefahr für den Wettbewerb und die Energiewende, auch der Ablauf der Genehmigung ist kritisch zu betrachten.

Daher haben im Mai 2020 und im Januar 2021 zehn regionale Energieversorger sowie der unabhängige Öko-Energieversorger NATURSTROM vor dem EU-Gericht zwei Nichtigkeitsklagen gegen die beiden inzwischen veröffentlichten Teilentscheidungen der EU-Kommission eingereicht. Sind die Klagen erfolgreich, muss die Bewilligung des Megadeals erneut von den EU-Wettbewerbshütern überprüft werden. Unter dem Titel #wirspielennichtmit machen einige der klagenden Unternehmen, aber auch viele weitere Akteurinnen und Akteure aus Wirtschaft und Gesellschaft im Rahmen der gleichnamigen Initiative den generellen Trend zur Oligopolisierung der Energiemärkten sowie die potenziellen Folgen für Verbraucherinnen und Verbraucher sichtbar.
Inhalt
Quo vadis, Energiemarkt?
Die Energieriesen RWE und E.ON teilen das Energiemarkt-Spielfeld in einem dreiteiligen Deal untereinander auf.
- Teil 1: RWE kauft die Erzeugungskapazitäten von E.ON.
- In Teil 2 geht es um eine erhebliche Unternehmensbeteiligung von RWE an E.ON in Höhe von 15 Prozent.
- Im Gegenzug bekommt E.ON in Teil 3 die Netz- und Vertriebsgesellschaften von RWE, insbesondere aus der vormaligen RWE-„Öko“-Tochter innogy.
Die Konzerne schieben lustig Kraftwerke, Netzleitungen, Geld sowie Kundinnen und Kunden hin und her. So entstehen zwei in ihren jeweiligen Tätigkeitsbereichen dominierende und darüber hinaus eng verflochtene Marktgiganten. Die Europäische Union und das Bundeskartellamt haben diesem Strom-Monopoly grünes Licht erteilt. Und die Bundesregierung ergriff inzwischen sogar als Streithelferin Partei für die Großkonzerne, nachdem es zuvor anscheinend Treffen zwischen Regierungsvertreter*innen mit den Konzernen gab. Werden mit diesem Coup die Karten neu gemischt, zum Nachteil für funktionierenden Wettbewerb, faire Preise und die dezentrale Energiewende?
Seit der Strommarktliberalisierung Ende der 1990er Jahre hat sich ein intensiver Wettbewerb unter Energieversorgern entwickelt. Mit dem Gesetz zur Neuregelung des Energiewirtschaftsrechts (EnWG) konnten Kund*innen und Unternehmen zum ersten Mal frei entscheiden, von welchem Anbieter sie ihren Strom beziehen möchten. Trotz der Fortschritte in den darauffolgenden Jahren gibt es weiterhin Barrieren, die einen wirklich fairen, nachhaltigen und effektiven Energiemarkt beeinträchtigen. Und durch das Zusammentun von RWE und E.ON wird sich die Marktkonzentration höchstwahrscheinlich wieder erheblich verschärfen. Laut einer Studie der EU-Kommission gibt es in Deutschland große Wettbewerbshürden – so sind beispielsweise Diskriminierung beim Datenzugang oder Unbundling nur zwei von vielen Problemen. Die ganze Studie gibt es hier.
Gleichzeitig profitieren Großkonzerne auch noch von früheren Oligopolstrukturen, die eigentlich mit der Liberalisierung längst abgeschafft sein sollten. Im Rahmen von Kohle- und Atomausstieg kassieren Kraftwerksbetreiber riesige Milliardenentschädigungen für viele längst abgeschriebene Anlagen bzw. jüngere Kohlekraftwerke, deren Fragwürdigkeit aus Klimaschutzsicht schon beim Bau längst feststand.
Warum Energieversorger gegen die Freigabe des Deals klagen

Dr. Thomas E. Banning, Vorstandsvorsitzender des Öko-Energieversorgers NATURSTROM und Mitinitiator der Initiative, sagt im Interview mit der energiezukunft, die Klage vor dem EU-Gericht adressiere mehrere inhaltliche und formale Mängel der Freigabeentscheidung der Wettbewerbshüter. „Inhaltlich ist besonders schwerwiegend, dass die Kommission nicht in ein sogenanntes vertiefendes Prüfverfahren eingestiegen ist. Das wäre aus unserer Sicht dringend nötig gewesen, denn durch die Übernahme der E.ON-Erzeugungskapazitäten sichert sich RWE die dominante Position bei der Stromerzeugung in Deutschland und baut sie weiter aus, im Großhandel mit Stromprodukten wird an RWE zukünftig kein Weg mehr vorbeigehen und die Gefahr von Marktmanipulationen zum Schaden der anderen Wettbewerber und der Endkunden wächst enorm.“
2019 wurden die drei Teile des Deals sukzessive von der EU-Kommission unter EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager (Teile 1 und 3) und dem Bundeskartellamt (Teil 2) freigegeben. Teil 3 – die Übernahme von innogy durch RWE – wurde von der EU-Kommission einer „vertieften Prüfung“ unterzogen, der andere Teil nicht. Außerdem verstrich ungewöhnlich viel Zeit bis die Wettbewerbshüter ihre Entscheidung begründet haben. Eine Begründung ebnet erst den Weg, eine Nichtigkeitsklage einzureichen. In der Zwischenzeit konnten RWE und E.ON schon viele Fakten schaffen.
Die Auflagen für die Konzerne waren marginal: E.ON musste zwar 34 Schnellladestationen verkaufen, behält mit über 1.600 Ladestationen aber seine dominierende Stellung im Bereich E-Mobilität. Vor allem aber wird der Konzern durch den Deal mit RWE mit seinen gut 16 Millionen Kundinnen und Kunden auf bis zu zwei Drittel der Fläche Deutschlands zum Grundversorger und kann so in Zukunft die Preise im Strom- und Gasmarkt entscheidend bestimmen. Zudem würde das Unternehmen – direkt oder mittelbar über zahlreiche Beteiligungen (immerhin fast 300) – viele Regionen beim Strom- und Gasvertrieb beherrschen. So könnten in der Folge unabhängige kommunale und mittelständische Anbieter aus dem Markt verdrängt werden. Einzige Auflage beim Stromvertrieb war die Abgabe von rund 260.000 Heizstromkunden, also nur einem Bruchteil der gesamten belieferten Verträge.
(Energie-)Daten – Ressource der Zukunft

Der Marktforscher Peter Sondergaard soll gesagt haben: „Daten sind das Öl des 21. Jahrhunderts, und Datenanalyse der Verbrennungsmotor.“ Für das Innovationsgeschäft und demnach den künftigen Unternehmenserfolg stellen Daten jeglicher Art gerade in einem zunehmend digitalisierten Strommarkt eine zukunftsträchtige Ressource dar. So wird der Zugriff auf Kundendaten, perspektivisch vor allem via intelligenter Messsysteme, zur entscheidenden wirtschaftlichen Komponente. E.ON als größter Netz- und Messstellenbetreiber kontrolliert nach dem Deal 50 Prozent des deutschen Stromnetzes (nach Netzlänge).
Außerdem hat der Konzern laut einer Analyse des Beratungsunternehmens LBD direkte und indirekte Mehrheits- bzw. Minderheits-Beteiligungen an 129 regionalen Verteilnetzbetreibern und verfügt somit über die Energiedaten von rund 20 Millionen Stromzählern – das entspricht einem Marktanteil von über 40 Prozent. Zum Vergleich: Der nächstgrößte Wettbewerber EnBW hat einen Anteil von elf Prozent! Seien es die zukünftigen Smart Meter, Smart-Home-Lösungen oder E-Mobilität und Ladeinfrastruktur – die bestehende Vormachtstellung und weitere Plattformeffekte bieten E.ON viele Möglichkeiten, sich mit „Big Data“ auf Kosten anderer Wettbewerber zu positionieren. Allein die Definition von Schnittstellen und das Setzen von Standards werden kaum ohne das Unternehmen mit dem größten Zugriff auf Energiedaten funktionieren. Sofern der Staat hier keine klaren und allgemeingültigen Vorgaben setzt, wird sich wohl der Gesamtmarkt den Vorstellungen von E.ON beugen müssen.
Übermächtige Konzerne – Klimaschutz adé?
Gerade die Treiber der bisherigen Energiewende in Deutschland – Dezentralität, Bürgernähe, Akteursvielfalt – sind nicht die Kategorien, in denen Großkonzerne denken.
Laut einer Analyse des Climate Accountability Institute sind 20 Konzerne – die sogenannten Carbon Major – immer noch verantwortlich für 35 Prozent der weltweiten CO2-Emissionen – seit 1965 ist dieser Wert unverändert.
RWE ist der größte CO2-Emittent in Deutschland. Global war der Konzern im Jahr 2019 für den Ausstoß von 88 Millionen Tonnen CO2 verantwortlich. Auch wenn vordergründig ein gewisser Wandel eingeleitet wurde und RWE beispielsweise mit Investitionen in Erneuerbare Energien im Ausland sein Image aufpolieren will, fällt der Konzern immer wieder durch Negativschlagzeilen auf, die keineswegs von einem „grünen“ Unternehmen, das unter dem Schlagwort #NeueRWE entstehen soll, zeugen: Beispielsweise sabotiert RWE in den Niederlanden dringend nötige Klimaschutz-Maßnahmen und klagt dort gegen deren geplanten Kohleausstieg auf zwei Milliarden Euro Entschädigung.
Eine Greenpeace-Studie hat das Re-Branding von RWE genauer unter die Lupe genommen. Besonderen Fokus legte die NGO dabei auf die Entwicklungen der Stromproduktion, der Stromzusammensetzung und der CO2-Emissionen in den letzten Jahren. Dass hier Realität und die vorgebliche Neuorientierung nicht übereinstimmen, zeigt das Fazit der Analyse: Die fossilen Energieträger sind nach wie vor das Rückgrat des Geschäftsmodells und werden es voraussichtlich noch bleiben: RWE will bis 2038 Kohlestrom produzieren. Schlimmer noch: Durch den Zukauf von fossilem Erdgasstrom baut der Essener Konzern diesen Bereich sogar noch aus. Mit einem Anteil von lediglich 2,2 Prozent am in Deutschland produzierten Ökostrom trägt RWE nur geringfügig zur Energiewende hierzulande bei – ganz anders bei den konventionellen Kraftwerken, wo das Unternehmen laut Bundeskartellamt sogar an der Schwelle zur Marktbeherrschung steht.
Wer steckt hinter der Initiative #wirspielennichtmit?
Ins Leben gerufen hat die Initiative NATURSTROM-Vorstand Dr. Thomas E. Banning. Schnell formierte sich ein breites Bündnis an Akteurinnen und Akteuren aus der Energiebranche, das sich für einen fairen Wettbewerb und die dezentrale Energiewende einsetzt. Zu den Mitgliedern der Initiative gehören neben NATURSTROM unter anderem die Energieversorger Bürgerwerke, Eins Energie in Sachsen, EWS Schönau, Greenpeace Energy eG und Polarstern sowie der Bund der Energieverbraucher, das Bündnis Bürgerenergie, der Landesverband Erneuerbare Energien NRW und der Bundesverband Nachhaltige Wirtschaft (vormals UnternehmensGrün). Außerdem der Grüner Strom Label e. V. und die GLS Bank.
Auch mehrere Bürgerenergie-Gesellschaften und bekannte Gesichter aus der Energiebranche wie Prof. Dr.Volker Quaschning und Prof. Dr. Claudia Kemfert sind Teil des Bündnisses. Zudem findet eine begleitende Petition auf campact, mit welcher sich Bürgerinnen und Bürger für fairen Wettbewerb, eine dezentrale Energiewende und eine Überprüfung des Deals aussprechen können, großen Anklang: Bereits über 65.000 Unterschriften kamen zusammen. Unterschreiben auch Sie?
Mehr zum Deal zwischen RWE und EON, zur Initiative und zur Klage finden Sie auf: https://www.wir-spielen-nicht-mit.de/.
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