Energiewende vorwärts ist kostengünstiger
Gastbeitrag von Dr. Fabio Longo, Fortsetzung des Beitrags „Energiewende rückwärts ist in vollem Gang“
Teil 2) Der Versuch von Politik und Stromkonzernen, die Energiewende richtig teuer zu machen
Auf internationaler Ebene schmückt sich der Umweltminister mit der Energiewende, im Inland hat er ihre Rückabwicklung eingeleitet. Doch nicht nur die scheinheilige Debatte um das EEG und die so genannte Strompreis-Sicherung gefährdet die laufende regionale Energiewende.
In Teil 2) seines Gastbeitrags erklärt Fabio Longo, mit welchen Debatten und Maßnahmen die Energiekonzerne die Lufthoheit zurückgewinnen möchten. Hauptziel ihres neuen Strommarktdesigns: Abschaffung des lästigen EEG, das Wettbewerb auf den bislang beherrschten Stromerzeugungsmarkt bringt.
Energiewende rückwärts
Seit dem Super-GAU von Fukushima im Jahr 2011 wird im Zusammenhang mit der Energiewende fast nur noch vom dringend nötigen Netzausbau gesprochen. Dringend nötig sei der Netzausbau, weil zur Energiewende große Offshore-Windparks auf dem Meer unverzichtbar seien und der Strom zu den Verbrauchszentren in die Mitte und den Süden Deutschlands geleitet werden müsste. In der öffentlichen Debatte wird dabei fast völlig ausgeblendet, dass die Energiewende neben dem Einstieg in erneuerbare Energien selbstverständlich auch darin besteht, Schritt für Schritt aus der fossil-atomaren Stromerzeugung auszusteigen. Dass der Ausstieg auch eine Option für frei werdende Netzkapazitäten ist, wird dabei kaum thematisiert.
Da der Importanteil der Steinkohle rund drei Viertel des Gesamtverbrauchs ausmacht, ist es besonders attraktiv, in Norddeutschland – in der Nähe der großen Häfen – Kohlekraftwerke zu betreiben und zu errichten, z. B. das neue und alte Kohlekraftwerk in Wilhelmshaven oder das neue Kohlekraftwerk in Hamburg-Moorburg. Jede Spitze Windkraft soll bei voller Atom- und Kohlestromproduktion abtransportiert werden können. Es geht also nicht nur darum, mit dem Netzausbau Windstrom nach Süden zu transportieren. Vor allem soll die Kohleschiene (Importkohle statt heimischer Steinkohle) gestärkt werden, die als Ersatz für die Atomkraft noch stärker ausgebaut werden soll. 20 Milliarden Euro kostet der Übertragungsnetzausbau Nord-Süd. Diese unsinnigen Kosten könnte man bei einer echten Energiewende weitgehend einsparen und in ohnehin notwendige Infrastrukturprojekte investieren.
Energiewende rückwärts verteuert Stromversorgung
Die Offshore-Windkraft dient dazu, die großen Stromkonzerne ins Spiel der Energiewende zu bringen, an dem sie bislang zu gerade einmal 5 Prozent beteiligt sind. Zur Renditesteigerung werden seit Jahren die Zuschüsse für die Offshore-Windkraft ausgeweitet, frei nach dem Motto von Wilhelm Busch „Ein jeder Wunsch, wenn er erfüllt, kriegt augenblicklich Junge.“ Zugleich werden seit Fukushima die Vergütungen für Solarenergie (Photovoltaik) und die die Onshore-Windkraft (Landwind) heruntergefahren; bei der Photovoltaik so drastisch, dass die deutsche Industrie am Abgrund steht. Wenn das EEG schon nicht auf einen Streich abgeschafft werden kann, soll wenigstens schrittweise der regionale Ausbau zurückgefahren und der auf dem Meer hochgefahren werden. Jede Art des Lobbyismus, sei er auch noch so verlogen, wird dazu eingesetzt. Die Kostendebatte zur EEG-Umlage gepaart mit dem Rundum-Sorglos-Paket der schwarz-gelben Bundesregierung für Offshore-Windparks ist dabei der Gipfel der Heuchelei.
Ausgerechnet die Offshore-Windkraft, die teuerste erneuerbare Energieart, wird mitten in der wirklichkeitsverzerrenden Kostendebatte zur EEG-Umlage mit einem Gesetz gefördert, das ein ohnehin bestehendes Privileg der Offshore-Anlagenbetreiber auf die Spitze treibt. Das Privileg besteht darin, dass Offshore-Anlagenbetreiber nicht selbst für den Netzanschluss sorgen müssen. Alle anderen Anlagenbetreiber, ob Solar auf dem Dach oder Wind auf dem Land, müssen die Netzanschlussleitung selbst verlegen und bezahlen.
Völlig ungerecht im Vergleich zu allen Onshore-Anlagenbetreibern ist das neue Offshore-Haftungsgesetz, das Bundeswirtschaftsminister Rösler (FDP) – der selbst ernannte Kämpfer gegen hohe Stromkosten – durch den Bundestag gebracht hat. Es lässt die Stromkosten für die Verbraucher mit einer neuen Offshore-Umlage schon jetzt anwachsen, weil der zuständige Netzbetreiber Tennet sich beim Verbraucher schadlos halten kann, wenn er den Netzanschluss nicht rechtzeitig verlegt. Die Betreiber der Meereswindparks, die ihren Strom noch gar nicht ins Netz einspeisen, bekommen trotzdem ihre Vergütung. Überflüssig zu erwähnen, dass Offshore-Windkraftanlagenbetreiber on top deutlich höhere Vergütungszahlungen wie Onshore bekommen. Durch diese Überförderung der Offshore-Windkraft droht in den nächsten Jahren ein vermeidbarer deutlicher Anstieg der Strompreise. Obendrein werden vor allem die Verbraucher für den Netzausbau zur Kasse gebeten, weil sich energieintensive Industriebetriebe dank Herrn Rösler nicht nur von der EEG-Umlage, sondern auch von den Netzentgelten weitgehend befreien lassen können.
Angriffe gegen das EEG
Im Jahr 2013 wird es unzählige Angriffe gegen das EEG geben. Den Auftakt haben Philipp Rösler (FDP) und Peter Altmaier (CDU) gemacht. Sie nutzen die durch überzogene Industriebefreiungen selbst verantwortete Steigerung der EEG-Umlage für eine wahltaktische Verschärfung der Strompreisdebatte. Das Motto: Erst Strom für Verbraucher teurer machen, um dann beim Spielen der Feuerwehr das Haus abfackeln zu lassen.
Die Angriffe von EU-Energiekommissar Oettinger (CDU) werden weitergehen. Besonders bedeutend ist die Frage, wie sich EU-Wettbewerbskommissar Almunia unter diesem Eindruck verhält. Wird er das EEG tatsächlich der Beihilfenkontrolle unterwerfen und damit 380.000 Arbeitsplätze akut gefährden? Letztlich wird es auf Kanzlerin Merkel ankommen, ob sie sich derartige Eingriffe in die deutsche Politik der Energiewende gefallen lässt, und ob sie zulässt, dass das erfolgreichste Wirtschaftsgesetz der Bundesrepublik von Brüssel zerstört wird. Da sie ihre beiden zuständigen Minister gerade dabei laufen lässt, wie sie das EEG sturmreif schießen, schwindet die Hoffnung, dass die Kanzlerin gegenüber Brüssel widerstandsfähig und -willig ist.
Plastikbegriff „Neues Strommarktdesign“ richtet sich gegen das EEG
Für die Erstellung der Wahlprogramme und die Zeit nach der Bundestagswahl sind die Debatten der nächsten Wochen von großer Bedeutung. Wirklichkeitsblind und heuchlerisch ist die Kampagne des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) für ein neues Strommarktdesign. Der BDEW fordert, die Zeit sei endlich reif für die Marktreife der Erneuerbaren. Man wartet aber schon sehr lange darauf, dass der BDEW Vorschläge vorlegt, wie denn auf Seiten der traditionellen Energiewirtschaft endlich Markt geschaffen werden könnte.
Die traditionelle Energiewirtschaft wird vom Oligopol der vier großen Stromkonzerne beherrscht. Da es z. B. keine Andienungspflicht für den in Großkraftwerken erzeugten Strom an die Leipziger Strombörse EEX gibt, findet an der EEX auch keine wettbewerbliche Preisbildung statt. Das Oligopol in der Stromerzeugung kann bei der Preisbildung schalten und walten, wie es will – auf Kosten der Verbraucher. Da ist es schlicht doppelzüngig, von den Erneuerbaren die reine Marktwirtschaft zu fordern, wenn der gesamte Energiesektor nicht nach marktwirtschaftlichen Grundsätzen funktioniert. Bei der Debatte um das Marktdesign geht es darum, das für die Stromkonzerne lästige EEG zu diskreditieren und dessen Abschaffung einzuleiten. Es wird daher entscheidend darauf ankommen, wie sich die politischen Parteien in ihren Wahlprogrammen zum Plastikbegriff „Neues Strommarktdesign“ verhalten.
Energiewende pragmatisch voranbringen
Wer pragmatisch die Energiewende voranbringen möchte, sollte erst einmal die Wirklichkeit betrachten. Die Energiewende findet regional statt. In den Ländern und Regionen wird durch den Ausbau der Erneuerbaren die größte Wirtschaftskraft entfaltet – nicht Offshore auf dem Meer. Daran muss sich auch die Energieinfrastruktur orientieren. Der Rhein-Hunsrück-Kreis zeigt das ganz praktisch. Im Jahr 2012 ist in der windhöffigen Region zwischen Trier und Rhein rechnerisch schon 100 % des Stroms lokal erzeugt worden, 2015 werden es 300 % sein. Darauf ist Landrat Bertram Fleck (CDU) zu Recht stolz. Denn seine Energiewende ist ein „riesiges Wirtschaftsförderungsprogramm“ für die Region, so Fleck. Auch der viel beschworene Netzausbau ist im Rhein-Hunsrück-Kreis eine pragmatisch zu lösende Frage. Hier und da eine Verstärkung und nur ein kurzes Zwischenstück müsste neu gebaut werden, um den Stromüberschuss vom windhöffigen Hunsrück in die Täler nach Neuwied oder Mainz zu transportieren. Denn auf dem Land gibt es ja schon eine Netzinfrastruktur, die als Basis genutzt werden kann.
Wenn der Gesetzgeber an Lösungen interessiert ist, sollte er die Stromnetzentgeltverordnung und die Anreizregulierungsverordnung endlich so ausgestalten, dass notwendige Netzinvestitionen – auch in intelligente Netze – von den Verteilnetzbetreibern ohne großen Zeitverzug geltend gemacht werden können. Genauso sollte er die Markteinführung von Speichern im EEG so regeln, dass vor allem Stadtwerke und Regionalnetzbetreiber einen Anreiz haben, z. B. in Modellprojekte für die vielversprechende Power-to-Gas-Technologie zu investieren. Denn in den regionalen Netzen, wo erneuerbare Erzeugung und Verbrauch zusammen kommen, brauchen wir die Regelenergie um das fluktuierende Wind- und Sonnenangebot auszugleichen – am besten mit effizienten gasbetriebenen Kraftwerken, die zugleich noch Wärme bereitstellen (Kraft-Wärme-Kopplung).
Energiewende mit Vorwärtsgang ist nicht teurer
Die Energiewende ist zu schaffen, wenn die Politik die Weichen richtig stellt. Sie ist auch nicht übermäßig teuer, wenn die Maßnahmen endlich auf die Wirklichkeit der regionalen Energiewende abgestimmt werden. Die Erneuerbaren Energien müssen im Zentrum der neuen Energiemarktregulierung stehen. Das EEG ist das Grundgesetz der Energiewende, weil es allen Marktteilnehmern Investitionen in Erneuerbare Energien ermöglicht und damit Wettbewerb in den immer noch von den Konzernen dominierten „Markt“ der Stromerzeugung bringt. Windkraft an Land (auf 2-3 % der Landesfläche) und jetzt auch Solarstrom auf Dächern und vorbelasteten Flächen stehen als kostengünstige Energieträger zur Verfügung. Auf sie muss das EEG den Schwerpunkt legen.
Die Verteilnetzbetreiber – Stadtwerke und Regionalversorger – sind das Rückgrat der Energiewende. Die Rahmenbedingungen müssen im Bereich Speicher und Netzinfrastruktur (Smart Grids) endlich auf sie zugeschnitten werden. Der Versuch, den Strommarkt mit Offshore-Windkraft und Übertragungsnetzausbau von Nord nach Süd wieder zu zentralisieren, ist der falsche und teurere Weg. Es ist nicht nachvollziehbar, warum die erfolgreich laufende regionale Energiewende nun gestoppt und – angereichert mit neuen Kohlekraftwerken – zentralisiert werden soll.
Dr. Fabio Longo ist Rechtsanwalt und ehrenamtlich aktiv im deutschen Vorstand der gemeinnützigen Europäischen Vereinigung EUROSOLAR e.V. Sein Fachbuch „Neue örtliche Energieversorgung als kommunale Aufgabe“ verdeutlicht die starke verfassungsrechtliche Stellung der Städte und Gemeinden bei der regionalen Energiewende; hier eine Buchbesprechung dazu: www.solarserver.de/solar-magazin/solar-standpunkt/fachbuch-neue-oertliche-energieversorgung-das-ruestzeug-fuer-kommunale-akteure-der-energiewende.html
EUROSOLAR hat im September 2012 ein Eckpunkte-Papier zur Weiterentwicklung des EEG veröffentlicht, das Sie hier lesen können: www.eurosolar.de/de/index.php?option=com_content&task=view&id=1673&Itemid=379