Energiewende von unten – im Kleinen etwas bewegen, um im Großen etwas zu erreichen?
Ist es nicht immer so, dass Ideen und Veränderungen von unten wachsen müssen? Oder hat Veränderung schon jemals funktioniert, wenn sie von oben aufgedrückt wurde? Druck von oben erzeugt aus meiner Sicht immer Gegendruck – ein „Nein, warum sollte ich das wollen, was mir die Oberen aufzwingen wollen“. Das zeigen momentan ganz viele Demonstrationen und Proteste. Nur, wenn „Mensch, Du und ich“ selbst verstehen und den eigenen Vorteil in der Veränderung sehen, wird sie akzeptiert und adaptiert.
Ich arbeite seit mehr als drei Jahren mit Andreas Kühl von energynet.de zusammen und habe schnell angefangen, mich für seine Themen zu interessieren – Photovoltaik, Energiewende, Erneuerbare Energien und zukunftsfähige Energieversorgung, um nur einige zu nennen.
Dieser Beitrag ist meine Sicht auf Projekte, die in den letzten Monaten in den Medien aufgetaucht sind und genau das zeigen – Veränderung von unten funktioniert auch in der Energiewende, weil Menschen ihren Mitmenschen besser „begreifbar“ machen können, wie ein umwelt- und energiebewusstes Leben in Zukunft funktionieren kann.
Inhalt
Das gilt auch für die Energiewende
„Energiewende von unten“ oder „Energiewende im Kleinen“ sind die Stichworte, die zusammenfassen, was heute schon in kleinen Städten erfolgreich umgesetzt wird. Was im Großen, sprich bundesweit, nicht funktioniert, ist in vielen Kleinstädten ein Erfolgsmodell.
Die Rede ist von der Kopplung der erneuerbaren Energien – Sonne, Wind, Wasser, (Bio)Gas und Wasserstoff – zu einem sich perfekt ergänzenden System. Neben vielen Gemeinden, in denen die Rekommunalisierung erste Ansätze bietet, gibt es auch Gemeinden, die heute schon energetisch autark sind. Einige Beispiele stelle ich in diesem Beitrag vor.
Eines ist inzwischen wohl allen klar, die sich mit den Themen „Energiewende“ oder „Klimakrise“ auseinandersetzen. Es macht keinen Sinn, sich auf eine der erneuerbaren Energien zu fokussieren, denn:
- Solarenergie – funktioniert nur, wenn die Sonne scheint
- Windenergie – braucht Wind, der ausreichend stark, aber nicht zu stark weht
- Wasserkraft – kann nur am Wasser Energie erzeugen
- Biogas – braucht eine enorme und gleichbleibend hohe Menge an Mist oder anderen Stoffen, deren Gärung Methan erzeugt
- Wasserstoff – ist durch die erforderliche Elektrolyse kompliziert, kann aber auch mit der Abwärme aus dem Verfahren punkten
- Erdwärme – erfordert tiefe Bohrungen und ist entsprechend aufwändig und nicht überall ist der Boden dafür warm genug
Alle Energieformen miteinander zu kombinieren, und zwar im Kleinen, vor Ort, ohne lange Transport- oder Lieferwege, ermöglicht eine zeitlich unabhängige, durchgehende Versorgung der Menschen mit Energie. Dabei gilt es, die örtlichen Gegebenheiten geschickt zu nutzen.
Die Technologien sind da, sie müssen nur angewendet werden
Was im Großen nicht geregelt wird oder nur mit Millionenaufwand umgesetzt werden kann, wird von Initiativen in Gemeinden im Kleinen erfolgreich realisiert.
Nahwärme aus Biomasse
Gemeinden Tüttendorf und Gettorf (Schleswig-Holstein)
Bauer Martin Laß aus dem kleinen Ort Tüttendorf in Schleswig-Holstein und seine Biogasanlage waren der Anfang. Heute macht die Gemeinde ihr Ding in der Krise.
Schon vor mehr als 10 Jahren hat der Landwirt angefangen, an seiner Vision von der Unabhängigkeit in der Energieversorgung zu arbeiten. Mit Biogas fing es an und das ist auch heute noch der Schwerpunkt seines Konzeptes. Alle Bürger bringen ihre Bioabfälle, Pferdemist und Ähnliches zu seiner Biogasanlage.
Durch die Vergärung der Biomasse entsteht Biogas, das in einem Blockheizkraftwerk durch die sogenannte Kraft-Wärme-Kopplung Strom und Abwärme erzeugt. Ein moderner Wärmespeicher und ein regeneratives Speicherkraftwerk, das dann Strom erzeugt, wenn der Bedarf am größten ist, sorgen für Flexibilität und stellen Wärme und Strom zur Verfügung, wenn sie gebraucht werden.
Inzwischen versorgt das moderne Nahwärmenetz mit seinen Anlagen und Energiespeichern die Bewohner der Gemeinden Tüttendorf und Gettorf mit regional erzeugtem Strom und Wärme. Ganz nach Martin Laß‘ Credo: „Lieber die Energieformen verwenden, die vor der Haustür zur Verfügung stehen, als zum nächsten AKW oder LNG Terminal zu schielen“. Dieses Konzept könnte auch in vielen anderen Regionen in Deutschland umgesetzt werden. Nutzen, was vor Ort vorhanden ist, statt große, überregionale Kraftwerke zu bauen und die Energie teuer über weite Strecken zu transportieren.
Vorhandene Ressourcen integrieren
Wunsiedel (Oberfranken, Bayern)
Auch die Stadt Wunsiedel in Oberfranken ist ein echter Vorreiter, wenn es um Klimaschutz und Energiewende geht. Wind, Sonne und Biomasse sind die Energiequellen der Wahl. Marco Krasser, Chef der Stadtwerke Wunsiedel, sagt Preissteigerungen und Unsicherheiten bei Strom und Heizung den Kampf an. „Wir wollen eine erneuerbare, zukunftssichere und klimaschonende Energieversorgung für unsere Region installieren.“ Als Chef der Stadtwerke kann er sein Konzept verwirklichen. Angefangen hat es 2001 mit dem Solarpark, zu teuer, um ihn über einen Kredit finanziert zu bekommen, hat Krasser mit einer Bürgerbeteiligung für Verständnis und Akzeptanz bei den Einwohnern geworben. Mit Erfolg. Über Anteile, die die Bürger am Solarpark erworben haben, konnte er finanziert werden und schüttet noch heute Dividenden aus.
Wunsiedel liegt im waldreichen Fichtelgebirge. Die Wälder dienten seit jeher als Holzlieferant für Sägewerke, die heute überwiegend Bauholz herstellen. Dabei fallen tonnenweise Holzreste an, die im örtlichen Heizkraftwerk verbrannt werden. Das Feuer erhitzt Wasser, dessen Dampf treibt eine Turbine an, die Strom und Abwärme zum Heizen und Trocknen der Sägespäne erzeugt. Diese werden anschließend zu Holzpellets gepresst. Die Pellets sichern die Energieerzeugung, wenn Sonne und Wind nicht ausreichend Strom erzeugen können.
Auch hier hat die Bürgerbeteiligung wieder dafür gesorgt, dass das Kraftwerk nicht als Störfaktor beschimpft, sondern als „unser“ Kraftwerk angesehen wird. Die überschüssige Energie wird in 3 Schiffscontainern, die voll mit Batteriezellen sind, gespeichert. Außerdem versorgt der neue Elektrolyseur die Stadt mit grünem Wasserstoff, der über lange Zeit gespeichert werden kann und zum Einsatz kommt, wenn die anderen Energieproduzenten ausfallen.
Auf vielen Dächern der Wohnhäuser und Fabrikhallen sind inzwischen Photovoltaik-Anlagen installiert. Ein Zeichen, dass die Einwohner verstanden haben, worum es Marco Krasser geht – weitestgehende Unabhängigkeit von Atomstrom oder Braunkohle, importiertem Gas oder über weite Strecken transportiertem Strom.
Komplett autark darf Wunsiedel noch nicht sein, denn es ist gesetzlich nicht möglich, eine Stadt vollständig vom Energienetz abzukoppeln.
Energieautarkes Dorf
Treuenbrietzen-Feldheim (Brandenburg)
Feldheim ist unabhängig von fossilen Brennstoffen, versorgt sich komplett selbst sowohl mit Wärme als auch mit Strom und ist autark, darf sich aber genau wie Wunsiedel nicht vollständig vom Energienetz abkoppeln. Mit dieser Autarkie hat das Dorf in Brandenburg bei der Energiewende die Nase weit vorn. Es gibt mehr als 55 Windräder, Biogas, Solaranlagen, so dass die Bewohner günstige Wärme und Strom bekommen.
Bereits seit 2008 erzeugt das Dorf seine eigene Energie. Zu verdanken haben die Bewohner das Michael Raschemann, der als Bauingenieur-Student schon Mitte der 90er Jahre die ersten Windräder nach Feldheim brachte. Einfach war es zu der Zeit nicht, den Bau von vier Windrädern zu stemmen. Er fand Investoren für seine Idee und heute sind aus den anfangs vier schon 55 Windräder geworden, mit einer Leistung von 119,6 MW. Der Windpark erzeugt so viel Strom, dass die Bewohner davon nur 0,5 Prozent selbst verbrauchen können. 99,5 Prozent werden ins öffentliche Netz eingespeist.
Neben einer Solaranlage gibt es seit 2008 auch eine Biogasanlage und eine Holzhackschnitzelheizung. Die Biogasanlage wird hauptsächlich mit Schweine- und Rindergülle betrieben, die im und um den Ort anfallen. Die in diesen Anlagen erzeugte Wärme reicht für alle angeschlossenen Haushalte. Und sogar noch für eine Industriehalle und einen Schweinemastbetrieb.
Der große Vorteil für die Feldheimer Bürger: durch die Anlagen bekommen sie sehr günstig Strom und Wärme für ihre Haushalte.
Das eigene Energieversorgungsunternehmen Feldheim Energie GmbH & Co KG kauft Strom aus dem Windpark und Wärme aus der Biogasanlage und gibt sie an die Haushalte weiter, die einen Kommanditanteil erworben haben – das sind so gut wie alle Haushalte.
Aus Wind wird Wasserstoff
Haßfurt (Bayern)
In Haßfurt, dem 14.000 Einwohner Städtchen im Maintal, beginnt die Zukunft. Genauer gesagt, die Zukunft der Energieversorgung. Die städtischen Betriebe Haßfurt und der Ökoenergieanbieter Green Planet Energy betreiben in Haßfurt eine kommerzielle Windgas-Anlage. Diese speist seit dem 8. September 2016 rund eine Million kWh Wasserstoff pro Jahr in das Gasnetz ein. Dazu wird in der Anlage im Hafengelände am Main ein containergroßer 1,25-Megawatt-PEM-Elektrolyseur eingesetzt.
Der Rückkauf der Beteiligung eines Privatunternehmens an den lokalen Energienetzen durch das Stadtwerk Haßfurt brachte den Stein ins Rollen. Und auch der Wechsel in der kommunalen „Regierungsverantwortung“ von der CSU zur freien Wählergemeinschaft Haßfurt hat das Projekt vorangetrieben. Unter der neuen kommunalen Regie können sich die Bürger finanziell an dem Projekt beteiligen.
So ist, zum ersten Mal in Deutschland, eine wasserstoffbasierte und vollkommen CO2-freie Versorgung mit regenerativem Strom entstanden. Das System besteht neben dem Windpark aus einem Elektrolyseur, einer Power-to-Gas Anlage, Drucktanks zum Speichern des Gases und einem Blockheizkraftwerk.
Mit Hilfe dieses Systems aus Wind und Gas, die beide zur Verstromung genutzt werden, können Schwankungen ausgeglichen werden. Außerdem unterstützen die Sektorenkopplung und Dezentralisierung die Stabilität der Versorgung. Das heißt, auch die Photovoltaik-Anlagen auf den Dächern der Häuser speisen ihren überschüssigen Strom in das Netz des Stadtwerks Haßfurt ein und leisten so einen Beitrag zur lokalen, dezentralen Stromversorgung.
Der überschüssige Strom aus dem Windpark erzeugt unter Einsatz der Elektrolyseure Wasserstoff, der entweder ins Gasnetz eingespeist wird oder bei Windstille resp. in Schwachwindzeiten rückverstromt wird. Gesteuert und geregelt wird das gesamte dezentrale System über ein Smart Grid, über das Messungen und Daten ausgetauscht werden, um einen stabilen Netzbetrieb zu gewährleisten.
Damit beweist die Stadt Haßfurt, wie die Energiewende funktioniert. Die weltweite Vorreiterrolle des Haßfurter Stadtwerks für eine Versorgung mit 100 Prozent regenerativen Energien fand im Januar 2020 die Anerkennung der Internationalen Organisation für Erneuerbare Energien (IRENA). Vorgestellt wurden 44 innovative Energieversorger aus der ganzen Welt. Das Stadtwerk Haßfurt war der einzige aus Deutschland und der herausragende Vertreter Europas.
Fazit
Umweltschutz, Versorgungssicherheit und Wirtschaftlichkeit sind schon lange keine Gegensätze mehr. Steigende Öl- und Gaspreise, Unsicherheit in der Energieversorgung und Abhängigkeit von einem Anbieter haben uns wach gerüttelt – ob es noch rechtzeitig war, wird die Zukunft zeigen.
Die Beispiele zeigen, dass es sinnvoll ist, im Kleinen anzufangen, uns zu kümmern und auf die Ideen von Machern vor Ort zu reagieren. Warten wir auf die großen Städte oder überregionale Lösungen, wird es zu spät sein, die von der Bundesregierung gesetzten Klimaziele zu erreichen.
Weitere Informationen zu den Beispielen:
Gemeinden Tüttendorf und Gettorf (Schleswig-Holstein) – Video verfügbar bis 15.12.2024
Wunsiedel (Oberfranken, Bayern) – Video verfügbar bis 06.02.2027 – Wunsiedel ab 10:00’
Treuenbrietzen-Feldheim (Brandenburg)
Haßfurt (Bayern)
Es ist wirklich beeindruckend, wie nur ein einzelner Dominostein eine ganze Bewegung auslösen kann. Dein Artikel erinnerte mich an meine Schwester. Sie arbeitet in einer kleinen Agentur, wo sie in einem riesigen Büro zu sechst waren. Sie hat sich die Stromkosten und die Herkunft des Stroms genauer angeschaut. Dann hat sie, nach Absprache mit ihren Kollegen, ihrem Chef vorgeschlagen, in einen CoWorking Space umzuziehen. Viele dieser Spaces, wie zum Beispiel Unicorn, legen großen Wert auf grüne Energie. Jetzt arbeiten sie in so einem CoWorking Space. In diesen flexiblen Büros können mehr Menschen pro Quadratmeter untergebracht werden als in traditionellen Büromietmodellen, und sie nutzen grünen Strom. Ich finde das großartig und es zeigt, dass kleine Veränderungen große Wirkungen haben können, ganz wie bei meiner Schwester oder Michael Raschemann.
Liebe Iris Hüttemann,
herzlichen Dank für Ihren inspirierenden Artikel. Ihre klare Vision und die praxisnahen Beispiele verdeutlichen eindrucksvoll, wie lokale Initiativen und Bürgerbeteiligung die Energiewende vorantreiben können.
Es ist ermutigend zu sehen, dass es Menschen wie Sie gibt, die durch ihre Arbeit und ihre Überzeugungen einen Beitrag zur Gestaltung einer umwelt- und energiebewussten Zukunft leisten.