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Was bedeutet kalte Nahwärme? (update)

Rohrleitungen für die kalte Nahwärme

Wasserrohre, Foto: pixabay/ paulbr75

Aktualisierung am 06.05.2021

Es klingt auf den ersten Blick merkwürdig, wenn die kalte Nahwärme die Wärmeversorgung übernehmen soll. Ist das ein Gegensatz? Nein, kalte Wärme  gibt es wirklich. Es handelt sich um eine Wärmeversorgung mit relativ geringen Temperaturen. Diese sind im Vergleich zu herkömmlichen Wärmenetzen schon fast kalt – daher die Bezeichnung. Was kalte Nahwärme genau bedeutet, wo ihre Vorteile liegen und welche Förderung es gibt, zeigt dieser Artikel. Hinzu kommen noch  einige Beispiele aus der Praxis.

Was ist Kalte Nahwärme?

Eine Wärmeversorgung über Wärmenetze, Fernwärme oder Nahwärme, hat üblicherweise eine Vorlauftemperatur von 70 bis über 100 Grad Celsius. Wärmenetze in dicht bebauten Siedlungen oder im Quartier können auch mit sehr geringen Temperaturen auskommen, zwischen 8 und 30 Grad Celsius. Um die notwendige Temperatur zu erreichen, werden in den Häusern dezentrale Wärmepumpen eingesetzt. Durch die geringen Temperaturen im Wärmenetz entsteht nur ein kleiner Unterschied zur Temperatur im Erdreich. Eine Dämmung der Rohre ist damit nicht notwendig, im Idealfall kann das Netz auch Wärme aus der Umgebung aufnehmen. Aus Gründen des Frostschutzes strömt in der Regel ein Wasser-Glykol-Gemisch (Sole) durch die Rohrleitungen.

Diese Art der Wärmenetze bezeichnet man als kalte Nahwärme, physikalisch korrekt als Anergienetze oder auch Wärmenetze 4.0. Über Wärmenetze liest man immer häufiger, sie gewinnen an Bedeutung.

Auch bei diesen geringen Temperaturen ist eine Wärmequelle vorhanden Je nach Aufbau des Netzes ist auch ein umgekehrter Betrieb zur  Kühlung der Gebäude möglich.

Für die kalte Nahwärme kommen unterschiedliche Wärmequellen infrage. Besonders im Hinblick auf den Klimaschutz ist dieses Prinzip der Wärmeversorgung interessant, denn damit kann Abwärme aus der Industrie oder von erneuerbaren Energien genutzt werden.

Erklärvideo „Kalte Nahwärme“

Vorteile der kalten Nahwärme

Eine Wärmeversorgung mit dem Prinzip der kalten Nahwärme hat einige Vorteile, die es sehr interessant machen.

Nachteile der Wärmeversorgung mit kalten Nahwärmenetzen

Die Nachteile der kalten Nahwärme sollte ich nicht verschweigen, daher ergänze ich den Text (nachträglich):

Förderung für die kalte Nahwärme

Das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) fördert seit dem 01.07.2017 Machbarkeitsstudien und die Realisierung von Wärmenetzsystemen 4.0. Auch wenn das Temperaturniveau in den Förderbedingungen von mindestens 20 Grad Celsius ausgeht, kann diese Förderung auch für die kalte Nahwärme gewährt werden. Eine Machbarkeitsstudie muss bei geringeren Temperaturen nachweisen, dass dadurch Kosten, Energie oder CO2-Emissionen eingespart werden.

Die Förderung für Wärmenetze 4.0 ist das erste Förderprogramm mit dem nicht nur Einzeltechnologien und -komponenten, sondern Gesamtsysteme gefördert werden. Für das BMWi zeichnen sich Wärmenetze der vierten Generation durch hohe Anteile erneuerbarer Energien, die effiziente Nutzung von Abwärme und ein deutlich niedrigeres Temperaturniveau im Vergleich zu klassischen Wärmenetzen aus. Dies minimiert die Verluste, steigert die Effizienz und erleichtert den Umstieg auf Erneuerbare Energien in der Nah- und Fernwärmeversorgung. Solche Systeme können durch die Kombination von Wärmepumpen und saisonalen Großwärmespeichern zusätzliche Flexibilität für den Strommarkt bereitstellen und bieten die Chance, nur schwer dämmbare Gebäudebestände mit hohen Anteilen klimafreundlicher Wärme zu versorgen.

Das BMWi fördert zunächst Machbarkeitsstudien mit bis zu 60 Prozent, sowie in einem zweiten Schritt die Realisierung eines Wärmenetzsystems 4.0 mit bis zu 50 Prozent der förderfähigen Gesamtkosten des Vorhabens. Informationen zu den technischen Anforderungen und die Antragsstellung erfolgt über das BAFA.

Praxisbeispiele für die kalte Nahwärme

Anschaulich wird die kalte Nahwärme anhand einiger Beispielen aus der Praxis:

Oberflächennahe Geothermie in Schifferstadt

Auf Initiative und mit Unterstützung der Energieagentur Rheinland-Pfalz hat sich die Stadt Schifferstadt für ein kaltes Nahwärmenetz entschieden. Das Netz wird von den Stadtwerken Schifferstadt betrieben und ist seit Januar 2017 in Betrieb. Als Wärmequelle dient hier das Erdreich. Dazu wurden Sonden in einem zentralen Bohrfeld eingebracht und an ein Ringleitungsnetz angeschlossen. In diesem Netz zirkuliert ein Wasser-Glykol-Gemisch, das die Wärme des Erdreichs mit seinen ganzjährig konstanten Temperaturen von zehn bis zwölf Grad Celsius, aufnimmt. Die aufgenommene Energie wird über das Ringleitungsnetz zu den Gebäuden transportiert. Dort sorgen Wärmepumpen dafür, dass Energie aus dem Netz das gewünschte Temperaturniveau erreicht.

Im Sommer lässt sich das Prinzip umkehren und die Wohnräume können wirtschaftlich und ökologisch gekühlt werden. Die aufgenommene Wärme wird durch die Leitungen zurück ins Erdreich geführt und ermöglicht damit gleichzeitig eine Regeneration des Erdsondenfeldes.

Nutzung der industriellen Abwärme in der Marktgemeinde Meitingen

Markt Meitingen mit der SGL Carbon GmbH und dem Neubaugebiet, Foto: KUMAS

Für das Niedertemperaturnetz in einem Neubaugebiet der bayerischen Marktgemeinde Meitingen wird die komplette Abwärme aus einem benachbarten Industrie-Unternehmen genutzt. Die SGL Carbon GmbH stellt den rund 125 Wohneinheiten kostenlos die industrielle Abwärme in Form von etwa 31 °C warmem Wasser zur Verfügung. Durch das ganzjährig hohe Temperaturniveau der Abwärme können die Wärmepumpen sehr effektiv arbeiten.

Das Wasser stammt aus der Kühlung der Produkte, deren Herstellungsprozesse hohe Temperaturen von bis zu 3.000° C benötigen. Um die dabei hergestellten Produkte wieder abzukühlen, wird Kühlwasser eingesetzt, das sich dabei auf etwa 30° C erwärmt. Dieses Kühlwasser dient nun als Wärmequelle für die Heizungen im Neubaugebiet. Mit Strom aus erneuerbaren Energien können die Wärmepumpen zu den Zeiten betrieben werden, wenn ausreichend Strom zur Verfügung steht. Die Wärme wird in einem Pufferspeicher zwischengespeichert.

Die Unternehmen haben sich freiwillig dazu bereit erklärt, das warme Kühlwasser für 20 Jahre kostenfrei zur Verfügung zu stellen. Pro Stunde werden ca. 40 Kubikmeter in die Nahwärmeleitung gespeist. Pro Jahr kann das bis zu 1,5 Mio. Kilowattstunden Energie ergeben, was der Heizleistung von etwa 150.000 Litern Heizöl entspricht. 
Anschließend wird das energieärmere, abgekühlte Wasser zum Werk zurückgeführt und wieder zur Kühlung genutzt – der Kreislauf beginnt von vorn. (Quelle: KUMAS Umweltnetzwerk)

Geothermie und Solarthermie im Oberbergischen Land

Im Neubaugebiet von Nümbrecht-Sohnius-Weide heizen die Bewohner:innen ausschließlich mit erneuerbaren Energien. Für Bauherren gibt es keinen Anschluss- oder Benutzungszwang an das kalte Nahwärmenetz. Mehr als zwei Drittel der Bauherren haben sich für die Wärmelieferung aus dem Netz entschieden. Die Konditionen für den Anschluss sind vergleichbar mit einer eigenen Heizungsanlage oder etwas günstiger, so die Energieagentur.NRW in der Projektvorstellung.

Rund 15 Häuser mit Wohnflächen zwischen 110 und 290 qm erhalten Wärme aus dem Nahwärmenetz mit ca. 200.000 kWh pro Jahr. Die Wärme wird mit einem Frostschutzmittel/Wasser-Gemisch, der sogenannten Sole, transportiert. Diese hat eine Temperatur zwischen -5 und +20 Grad Celsius. Sie kann also Wärme aus dem Erdreich aufnehmen, da die Rohrleitungen nicht gedämmt sind. Dies können bis zu 50 Watt je laufendem Meter Leitungslänge sein – praktisch eine oberflächennahe Geothermie. Für den Fall, dass die aufgenommene Wärme zur Versorgung der Häuser nicht ausreicht, können eine solarthermische Anlage auf der Sohnius-Weide, gesammeltes Regenwasser oder Abwasser zusätzliche Energie in die Sole einspeisen.

Wenn im Idealfall die Bewohner ihre Wärmepumpen mit Ökostrom betreiben, dann ist eine komplett erneuerbare Energieversorgung realisiert. Gegenüber einer Beheizung mit Erdgas-Brennwertheizungen reduziert die kalte Nahwärme die CO2-Emissionen um 40.000 kg pro Jahr (Quelle: Klima Log NRW).

Weiterführende Informationen zur kalten Nahwärme

Weitere Informationen findest Du hier:

Ist die kalte Nahwärme die Lösung für die Wärmewende?

Wenn von DER einzigen Lösung die Rede ist, bin ich immer skeptisch. Ich halte die Lösung der Wärmenetze mit geringen Temperaturen durchaus für eine Möglichkeit, die Anteile der erneuerbaren Energien in der Wärmeversorgung zu steigern. Aber es muss im Einzelfall geprüft werden, ob es eine sinnvolle und wirtschaftliche Lösung sein kann. Das wird nicht immer der Fall sein. Welche Wärmequellen stehen zur Verfügung? Eine gute Hilfe ist eine Karte der Wärme Hot-Spots, die es für das Münsterland gibt.

Was hältst Du von der kalten Nahwärme für die Wärmeversorgung? Kann sie einen Beitrag zum Fortschritt der Wärmewende leisten? Oder sind noch Fragen zur kalten Nahwärme offen?

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