Agriphotovoltaik: Landwirtschaft und Photovoltaik auf einer Fläche
Photovoltaik Freiflächenanlagen standen bislang im Widerspruch zur landwirtschaftlichen Nutzung der Fläche. Es gab lange Zeit nur die Möglichkeit für eine der beiden Flächennutzungen, Agrarfläche oder Photovoltaik Freiflächenanlage. Aber seit wenigen Jahren gibt es einen Trend zur Kombination von Stromerzeugung mit Photovoltaik und Agrarwirtschaft auf einer Fläche, auch Agriphotovoltaik genannt. Dieser Text stellt die Technologie, ihre Möglichkeiten und Beispiele aus der Praxis vor.
Inhalt
- Ausgangslage Ausbau der Photovoltaik
- Agriphotovoltaik verbindet Stromerzeugung und landwirtschaftliche Nutzung
- Potenzial der Agriphotovoltaik in Deutschland
- So kann die Agriphotovoltaik in der Praxis aussehen
- Rechtliche Fragen der Agriphotovoltaik
- Wirtschaftlichkeit und Förderung der Verbindung von PV und Agrar
- Akzeptanz der Agriphotovoltaik
- Fazit
Ausgangslage Ausbau der Photovoltaik
Bislang haben wir in Deutschland Photovoltaikanlagen mit einer Leistung von knapp 55 GW installiert. Die Zeichen stehen günstig für einen deutlichen Anstieg der neu installierten Anlagenleistung in diesem Jahr. Aber dieses Wachstum ist noch viel zu gering, um das 1,5 Grad Ziel einzuhalten.
Für eine klimaneutrale Energieversorgung mit 100 Prozent erneuerbaren Energien benötigen wir mindestens die zehnfache Leistung an installierten Photovoltaikanlagen. Die Angaben in Studien schwanken zwischen 530 GW (Fraunhofer ISE Studie “Wege zu einem klimaneutralen Energiesystem”) und 800 GW (Handbuch Klimaschutz im Sonnenszenario).
Besonders Dachflächen sind zur Installation der Anlagen geeignet, da diese Flächen ohnehin versiegelt sind und der Weg zum Verbraucher kurz ist. Laut Handbuch Klimaschutz haben Dachflächen ein Potential von 200 GW und Fassaden von 100 GW. Die Stiftung Klimaneutralität kommt auf ein Potential von 400 GW Photovoltaik auf Dachflächen und 320 GW an Fassaden. Diese große Differenz zeigt, wie schwierig es ist, das Potential der Photovoltaik abzuschätzen. Hinzu kommt die Flächenkonkurrenz auf dem Dach mit anderen Technologien, z. B. Lüftungs- und Klimaanlagen.
Die Zahlen für den Bedarf an Photovoltaikanlagen zeigen aber auch, dass wir uns nicht alleine auf die gebäudeintegrierten Anlagen verlassen können. Um die oben erwähnten Ziele zu erreichen, müssen wir Photovoltaikanlagen auch auf anderen Flächen bauen.
Ohne Photovoltaik-Freiflächenanlagen wird es daher nicht gehen. Das Potential für Photovoltaikanlagen auf diesen Flächen liegt, nach den bereits genannten Studien, zwischen 200 und 300 GW.
Doch häufig kommt es bei diesen Installationen zum Streit. Die Flächen werden der landwirtschaftlichen Nutzung entzogen und Bau- und Infrastrukturmaßnahmen beanspruchen ebenfalls viel Raum. Aus diesem Grund fordern landwirtschaftliche Betriebe, dass die Energiewende nicht zu Lasten landwirtschaftlicher Nutzflächen gehen darf. Nur ertragsschwache und für die Landwirtschaft unbedeutende Flächen sollten für Photovoltaikanlagen genutzt werden.
Agriphotovoltaik verbindet Stromerzeugung und landwirtschaftliche Nutzung
Eine neue Art der Flächennutzung verbindet die Stromerzeugung mit Photovoltaik mit der landwirtschaftlichen Nutzung auf einer Fläche. Praktisch gesehen handelt es sich um Photovoltaik und Photosynthese auf der gleichen Fläche. Diese Art der doppelten Nutzung wird daher Agriphotovoltaik, Agrophotovoltaik oder Agrarphotovoltaik genannt. Im folgenden Text beschränke ich mich auf den meist genutzten Begriff Agriphotovoltaik.
Die Art der landwirtschaftlichen Nutzung kann bei der Agriphotovoltaik variieren. Sie reicht von einer extensiven Beweidung, z. B. zwischen den Modulreihen, bis hin zu einer intensiven Bewirtschaftung der Felder mit einer speziell angepassten Aufständerung für die Module.
Vor- und Nachteile der Agriphotovoltaik
Vorteile | Nachteile |
Höhere Flächeneffizienz durch die Kombination auf einer Fläche | Höherer Aufwand für Landwirte |
Schutz der Kulturen vor Starkregen und extremer Sonneneinstrahlung | Veränderung des Landschaftsbildes (z. B. durch hohe Aufständerung) |
Schutz der Kulturen vor Starkregen und extremer Sonneneinstrahlung | Mehrkosten bei höherer Aufständerung |
Zusätzliche Einnahmen durch Stromverkauf bzw. Kostenersparnis durch Eigenverbrauch des Stroms | Änderung des Flächennutzungsplans eventuell notwendig |
Kosteneinsparung durch Wegfall von Hagelschutznetzen oder Folientunneln |
Potenzial der Agriphotovoltaik in Deutschland
Nachdem ich den Bedarf für die Leistung von installierten Photovoltaikanlagen zur Erreichung des 1,5 Grad Ziels angegeben habe, bleibt die Frage welchen Anteil die Agriphotovoltaik decken kann. Das Fraunhofer ISE ist sehr optimistisch und schätzt das technische Potential in Deutschland auf 1,7 TW. Hier ist die Stiftung Klimaneutralität mit ihrem Wert von 130 GW auf einem Prozent der landwirtschaftlichen Fläche vielleicht realistischer.
In ihrem Leitfaden zur Agrophotovoltaik in Deutschland gibt das Fraunhofer ISE an, dass nur vier Prozent der deutschen Ackerflächen ausreichen würde, um den gesamten Strombedarf bilanziell zu decken. Dies ist aus energetischer Sicht zudem deutlich effizienter als Energiepflanzen (z. B. Raps) anzubauen. Letzteres nimmt aktuell rund 14 Prozent der Ackerflächen ein.
So kann die Agriphotovoltaik in der Praxis aussehen
Es gibt weltweit bereits zahlreiche Projekte, die ganz unterschiedlich umgesetzt sind. Auch in Deutschland hat die doppelte Flächennutzung bereits das Forschungsstadium verlassen und wird kommerziell genutzt. Im Folgenden zeige ich verschiedene Möglichkeiten, sortiert nach der Anordnung der Photovoltaikmodule.
Große Abstände zwischen Modulreihen


Die einfachste Möglichkeit: die Flächen zwischen den Modulreihen der Photovoltaikanlage werden vergrößert, um sie extensiv bewirtschaften zu können. Als Nutzung kommen Weideflächen oder Mähwiesen infrage.
Größere Abstände zwischen den Modulen erhöhen zusätzlich die Artenvielfalt auf dem Gelände. Dies hat eine Untersuchung für die Studie “Solarparks – Gewinne für die Biodiversität” ergeben. Es siedeln sich mehr Insekten, Reptilien und Brutvögel auf diesen Flächen an.
Senkrechte Anordnung der Module


Eine ganz neue Art der Agriphotovoltaik hat die Next2Sun GmbH entwickelt. Sie stellen die Module senkrecht auf, vergleichbar mit einem hohen Zaun. Dabei verwenden sie bifaciale Glas-Glas-Module, die das Sonnenlicht auf beiden Seiten der Module nutzen können. Die Module sind in einer Pfosten-Riegel Konstruktion befestigt und auf hohe statische Lasten ausgelegt.
Zwischen den Modulreihen bleibt genügend Raum für die landwirtschaftliche Nutzung als Weidefläche, Wiese oder auch Ackerfläche. Der Zwischenraum ist breit genug für landwirtschaftliche Maschinen und die Anschlüsse der Module können gegen Kabelbiss durch Weidetiere gesichert werden.
Die senkrechte Anordnung der bifacialen Module und Ausrichtung nach Osten und Westen, ermöglicht eine Stromerzeugung vor allem in den Morgen- und Abendstunden. Sie weisen somit ein netzdienliches Einspeiseprofil auf und können höhere Erlöse erzielen.
Für dieses innovative Konzept mit erneuerbarer Stromerzeugung und nachhaltiger Landwirtschaft hat Next2Sun den Deutschen Solarpreis 2020 erhalten.
Aufgeständerte Modulreihen in mittleren Höhen


In Verbindung mit dem Obstbau, vor allem für Spalierobst, bietet es sich an, die oft genutzten Folientunnel durch eine Abdeckung mit Photovoltaikmodulen zu ersetzen. So finden die Pflanzen bessere Wachstumsbedingungen vor, sind geschützt vor extremen Wetterereignissen und haben gleichzeitig ein stabiles Klima für ihr Wachstum. Dies beweisen Ergebnisse einer Untersuchung in den Niederlanden.
Ein Beispiel für diese Art der Agriphotovoltaik ist die Beerenobstplantage „LAND allerliebst”. Dort haben zwei Landwirte ein smartes Gewächshaus für Beerenobst errichtet, das den Boden feucht hält, Strom für umgerechnet rund 150 Einfamilienhäuser produziert und die Ernte gleichzeitig vor starkem Hagel und Wettereinflüssen schützt.
Aufgeständerte Modulreihen in größerer Höhe


Eine optimale Nutzung der Fläche lässt sich mit aufgeständerten Modulen in größerer Höhe erzielen. Die Höhe variiert dabei, je nach Bewirtschaftung, angepflanzten Kulturen und benötigten Maschinen.
Für den Obstbau können Höhen von drei bis vier Metern ausreichen. Bei Ackerflächen ist hingegen eine Aufständerung von sechs Metern Höhe notwendig, damit genügend Raum für die landwirtschaftlichen Nutzfahrzeuge, wie Mähdrescher, vorhanden ist.
Auch bei der waagerechten oder leicht geneigten Anordnung der Photovoltaikmodule kommen bifaciale Solarpaneele zum Einsatz. Diese haben den Vorteil, dass sie auch die reflektierte Strahlung auf der Rückseite nutzen. Dadurch kann der Ertrag der Stromerzeugung um bis zu 25 Prozent höher ausfallen.
Durch die doppelte Nutzung ist es möglich, die Flächen effizienter zu nutzen als bei einzelnen Flächennutzungen. Es verringern sich zwar der Ertrag der landwirtschaftlichen Nutzung und der Photovoltaikanlage auf jeweils ca. 80 Prozent. Aber in der Summe ist die Ausnutzung bei gleich großer Fläche deutlich höher als bei der einzelnen Anwendung.
Ein weiterer Vorteil dieser Art der Agriphotovoltaik ist der Schutz der Pflanzen vor Wettereinflüssen. Denn die Module schützen vor übermäßiger Sonneneinstrahlung, vor Austrocknung des Bodens, vor Hagelschäden und können damit andere Schutzeinrichtungen, wie Hagelschutzfolien und Folienüberdachung ersetzen. Unter den Modulen ist das Klima besser für das Pflanzenwachstum.
Rechtliche Fragen der Agriphotovoltaik
Die Funktionsweise der Agriphotovoltaik klingt sehr einleuchtend und scheint einige praktische Vorteile mit sich zu bringen. Für Landwirte kann aber das EU-Recht mit seinen Agrarsubventionen der praktischen Anwendung im Weg stehen. Es besteht die Gefahr, dass sie ihre Beihilfen verlieren, da sie diese Flächen für eine nichtlandwirtschaftliche Tätigkeit nutzen.
Eine weitere Hürde kann das Planungsrecht sein, denn es handelt sich um Anlagen im unbeplanten Außenbereich. Es kann eventuell eine Baugenehmigung oder eine Änderung im Flächennutzungsplans notwendig werden. Daher müssen sich interessierte Landwirte frühzeitig mit der Gemeinde abstimmen.
Wenn die genannten rechtlichen Hürden geklärt sind, gilt es, auch das Energierecht zu beachten. Besonders beim wirtschaftlich interessanten Eigenverbrauch sind einige Fragen zu klären. All diese rechtlichen Themen der Agriphotovoltaik werden im BBH-Blog vorgestellt.
Wirtschaftlichkeit und Förderung der Verbindung von PV und Agrar
Die Verbindung von Photovoltaik und landwirtschaftlicher Nutzung ist bereits heute wirtschaftlich konkurrenzfähig. Nach Angaben des Agri-PV Leitfadens der Fraunhofer ISE liegen die Stromgestehungskosten zwischen 7 und 12 cent je KWh. Damit liegen die Kosten höher als bei normalen Freiflächenanlagen und eher im Bereich von kleinen Dachanlagen. Aber Landwirte erzielen an anderer Stelle Einsparungen und sie können die Fläche doppelt nutzen.
Im EEG ist bislang keine Förderung für Photovoltaikanlagen auf landwirtschaftlichen Nutzflächen vorgesehen. Künftig soll die Agriphotovoltaik in Innovationsausschreibungen berücksichtigt werden. Die Ausschreibung von 50 MW Leistung soll ab April 2022 gemeinsam mit schwimmenden Photovoltaikanlagen und PV-Anlagen auf Parkplätzen erfolgen. Daher ist die Finanzierung über den Eigenverbrauch auf dem Hof eine mögliche Alternative.
Eine weitere Fördermöglichkeit stellt das Bundesprogramm Energieeffizienz für Landwirtschaft und Gartenbau dar. Im Blog des Photovoltaik Großhandels Memodo stehen weitere Informationen zu diesem Programm.
Akzeptanz der Agriphotovoltaik
Photovoltaik Freiflächenanlagen sind nicht immer unumstritten. Sie stellen einen nicht unerheblichen Eingriff in das Landschaftsbild dar und beanspruchen in der Regel eine sehr große Fläche. In einigen Fällen geht wertvolles Ackerland verloren. Beides sind keine wünschenswerten Entwicklungen.
Für die Agriphotovoltaik spricht hingegen die Fortsetzung der Landwirtschaft auf der gleichen Fläche. Hilfreich für ihre Akzeptanz in der Bevölkerung ist es, wenn die Landwirte selbst die Anlage betreiben und kein ortsfremder Investor. Sie sind in der Regel vor Ort gut vernetzt und können leicht für Unterstützung werben.
Die Einbindung der Bürger:innen und Interessengruppen in den Planungsprozess vor Ort ist auf jeden Fall notwendig. So können Konflikte frühzeitig erkannt und behoben, sowie die unterschiedlichen Anforderungen der Energieversorgung und der landwirtschaftlichen Nutzung in Einklang gebracht werden.
Der bereits erwähnte Leitfaden des Fraunhofer ISE nennt ein paar Erfolgsfaktoren, die eine Akzeptanz der Agriphotovoltaik vor Ort positiv beeinflussen können:
- Priorisierung der landwirtschaftlichen Bewirtschaftung
- lokale Nutzung des Solarstroms
- Mindestabstände zu bebauten Gebieten
- Nutzung von Synergien
- Keine Beeinträchtigung der Naherholung
Fazit
Wir müssen die Solarstromnutzung viel weiter ausbauen, um die gesetzten Klimaschutzziele zu erreichen. Dachflächen und Fassaden der Gebäude reichen für dieses große Ziel nicht aus. Es sind also weitere Flächen notwendig.
Die Agriphotovoltaik bietet die Chance, das knappe Gut Fläche optimal zu nutzen und zwei verschiedene Ernten auf einer gemeinsamen Fläche “einzufahren” – mit ganz unterschiedlichen Konzepten. Für eine erfolgreiche Umsetzung ist es jedoch wichtig, alle Akteure frühzeitig in die Planung einzubeziehen. Dann können Projekte der Agriphotovoltaik erfolgreich werden.
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