Warum dominiert die Kostendebatte den Diskurs über die Energiewende?
Gastbeitrag von Stefan Preiß, verantwortlicher Redakteur bei EUWID Neue Energien, auch veröffentlicht bei experts-top50-solar.de als passende Ergänzung zum Beitrag über das Bewusstsein für das Thema Energie.
Über den französischen Diplomaten Charles-Maurice de Talleyrand-Périgord, der zu den wichtigsten Beratern Napoleons zählte, wird eine interessante Anekdote erzählt. Als Napoleon ihm im Vorfeld von Friedensverhandlungen vorschlug, eine weitere Schlacht zu führen, um die Verhandlungsposition zu stärken, entgegnete ihm Talleyrand: „Das ist nicht erforderlich: Man hat mir erlaubt, die Agenda für die Verhandlungen festzulegen.“
Inhalt
Talleyrand, die Agenda und die Energiewende in Deutschland
Die Debatte um die Energiewende in Deutschland zeigt auf einer anderen Ebene die Bedeutung der Agenda. Spätestens seit den Vorschlägen von Bundesumweltminister Peter Altmaier (CDU) für eine Strompreisbremse im Frühjahr 2013 wird die Energiewende immer weniger als Chance denn als Bedrohung wahrgenommen. Die gebetsmühlenartige Warnung vor den „explodierenden Kosten der Energiewende“ hat zunehmend die Agenda der Debatte bestimmt. Von den vormals gerühmten Chancen und Vorteilen eines zügigen Umstiegs der Energieversorgungsstrukturen auf erneuerbare Energien ist kaum mehr die Rede. Vielmehr ist mit dem „Kostenargument“ eine Angstspirale in Gang gesetzt worden, an deren aktuellem Rand von Industrieseite die Sorge vor der „Zerstörung des industriellen Kerns Deutschlands“ als Superlativ eingebracht wurde.
Die von der Kostendebatte geprägte Agenda wirkt erwartungsgemäß in die laufenden Koalitionsverhandlungen zwischen Union und SPD hinein. Man werde die Umsetzung der Energiewende planbarer, berechenbarer und „dauerhaft bezahlbar“ gestalten, erklärte der Bundesumweltminister. Sein sozialdemokratisches Pendant in den Verhandlungen, die nordrhein-westfälische Ministerpräsidentin Hannelore Kraft, erklärte schon zu Beginn der Koalitionsgespräche, dass der Erhalt der Industriearbeitsplätze wichtiger als eine schnelle Energiewende sei. Die zwischenzeitlich bekannt gewordenen Ergebnisse der Arbeitsgruppe Energie bestätigen, dass ein kraftvoller Ausbau der erneuerbaren Energien in der kommenden Legislaturperiode nicht die höchste Priorität besitzt: Der Bioenergieausbau soll gedrosselt, die Onshore-Windkraft auf gute Standorte beschränkt und Photovoltaik-Selbstversorger stärker zur Kasse gebeten werden. „Unser Ziel war es die Kostenexplosion in den Griff zu bekommen. Das haben wir erreicht“, erklärte CDU-Vize Armin Laschet.
Vorteile einer erfolgreichen Energiewende kommen nicht an
Warum aber ist es den Verfechtern der Energiewende nicht gelungen, die – auch ökonomischen – Vorzüge einer erfolgreichen und zügigen Energiewende erfolgreich in die Debatte einzubringen? An guten Argumenten gäbe es keinen Mangel: Eine schnelle Energiewende würde Abhängigkeiten von fossilen Energieträgern und deren Exporteuren senken. Schon heute werden Milliardenbeträge dadurch gespart, dass weniger Öl und Gas importiert werden muss als zu Zeiten, als die regenerativen Energien ein Schattendasein fristeten. Eine schnelle Energiewende könnte auch Arbeitsplätze schaffen, moderne Industrieunternehmen an Weltmärkten ihren Know-how-Vorsprung vermarkten. Nicht zuletzt werden die Fortschritte der Energiewende in Deutschland von anderen Industrienationen genau beobachtet. Schafft man es, hier Wissen darüber zu akkumulieren, wie fluktuierende erneuerbare Energien in Kombination mit Speichertechnologien, Energieeffizienz, Demand-Side-Management oder Blockheizkraftwerken zu einem stabilen Versorgungssystem zusammengeführt werden können, dann lässt sich auch dieses Wissen gewinnbringend vermarkten.
Erfolg der Kostendebatte
Der Erfolg des „Kostenarguments“ in der öffentlichen Debatte hat vielfältige Gründe. Ein wichtiger Aspekt sind fraglos gut organisierte Interessen, die über verschiedene Kanäle an der Agenda des öffentlichen Diskurses feilen. Deren Erfolg beim Agendasetting ist damit aber noch nicht erklärt. Er hängt nicht zuletzt zusammen mit einer Asymmetrie des Arguments, in einer Ungleichheit der Waffen: Die „Kostenexplosion“ ist unmittelbar eingängig, metaphorisch mit Kontrollverlust und möglicherweise physischer Bedrohung verbunden. Die „Kostenexplosion“ weckt Emotionen, es muss alles getan werden, um diesen Zustand zu vermeiden, um Gefahr von sich und anderen abzuwenden.
Liegt der Ball erst einmal auf dem Spielfeld der „Kostendebatte“, haben es die Verfechter der Energiewende schwer. Denn jetzt gilt es, zu erklären, warum die Kosten durch die erneuerbaren Energien nicht „explodieren“. Das geht dann zumeist so, dass Branchenvertreter oder die überschaubare Zahl an Ökonomen, die das EEG nicht verteufeln, erklären, dass die Strompreise (für Haushaltskunden) ja nur deshalb steigen, weil die Strompreise (im Großhandel) sinken. In einem nächsten Schritt wird die Wirkung des „Merit-Order-Effekts“ ausgearbeitet und die Mechanik der EEG-Umlage präsentiert. Zu diesem Zeitpunkt steht es bereits 3:0 für die „Kostenexplosion“, folgen jetzt noch weitere Erläuterungen über die Missstände im „Strommarktdesign“ und im Emissionshandel, droht eine Packung. Genüsslich können die Vertreter der „Kostenexplosion“ noch den Ball zwischen den „unsozialen Wirkungen des EEG“ und dem „drohenden Verlust von Industriearbeitsplätzen“ zirkulieren lassen, um die Demütigung der Energiewendefreunde perfekt zu machen.
Kosten der Energiewende werden nicht reduziert durch die Politik
Dass der von der Koalition geplante Umbau des EEG tatsächlich wenig zur Kontrolle der Energiewendekosten beitragen dürfte, gehört zu den fast schon ironischen Randbemerkungen in der Debatte: Auch bei einem massiven Ausbau der erneuerbaren Energien sind die zusätzlichen Kosten verglichen mit den längst versprochenen Vergütungen für Bestandsanlagen von untergeordneter Bedeutung – zumindest wenn man die Offshore-Windenergie ausklammert, bei der vergleichsweise hohe Vergütungssätze mit hoher Stromproduktion zusammentreffen. Der Versuch von Altmaier, die Bestandskosten im Rahmen der „Strompreisbremse“ zu senken, ist kläglich gescheitert, auch Brüssel rät von rückwirkenden Kürzungen dringend ab, um Investoren nicht zu verunsichern.
Bei der Furcht vor der „Kostenexplosion“ geht es nur um die Neuanlagen. Die aber erhalten schon lange keine so üppigen Vergütungssätze wie noch vor wenigen Jahren. Selbst bei der Photovoltaik sind Fördersätze erreicht, die mit den Ängsten vor einer „Kostenexplosion“ eigentlich nicht mehr kompatibel sind. Große Installationen bis 10 MW erhalten seit wenigen Wochen weniger als 10 Cent pro Kilowattstunde Vergütung. Zum Vergleich: Das jüngst von der britischen Regierung auf den Weg gebrachte Atomkraftwerk in Somerset, das in zehn Jahren den Betrieb aufnehmen soll, erhält den Planungen zufolge für jede produzierte Kilowattstunde einen garantierten Preis von umgerechnet rund 10,5 Cent. Und das im Übrigen für einen Zeitraum von 35 Jahren.
Das braucht die Agenda der Energiewende
Im Kern sollte die Agenda der Energiewende viel breiter ausgestellt sein: Welche Rolle kommt der Energieeffizienz zu? Wie können Angebot und Nachfrage besser aufeinander abgestimmt werden? Welche Lösungen können die Energiewende im Wärme- und Kraftstoffmarkt beschleunigen? Wie kann die Entwicklung von Speichern vorangebracht werden? All das sind Fragen, die im Zuge der Energiewende im Blickpunkt stehen müssten, ebenso wie die Frage nach der Gestaltung eines Energiesystems, das die erneuerbaren Energien in den Mittelpunkt stellt. Eine Erweiterung der Agenda durch eine Emanzipation der Debatte von der reinen Kostenperspektive könnte einen lösungsorientierten Blick auf die Energiewende schärfen. Dann müssen sich die Verfechter traditioneller fossiler Versorgungsstrukturen vor dem Rückspiel gegen die Energiewendefreunde warm anziehen.
Sie haben fraglos recht, dass man auf die Kosten achten muss, Mario Sedlak. Die Frage ist nur, ob die Diskussion, wie sie insbesondere im laufenden Jahr geführt wurde, die richtige Akzentuierung gebracht hat. Konkrete Vorschläge zur Ausrichtung des Energiesystems auf erneuerbare Energien haben wir in den Koalitionsverhandlungen kaum entdecken können. Und darum sollte es in erster Linie gehen. Die „wahren“ Kosten der Energieträger sind ohnehin nicht mit einfachen Berechnungsmethoden zu erfassen (und die EEG-Umlage taugt schon gar nicht als Preisschild; vgl. hierzu auch http://www.euwid-energie.de/news/neue-energien/einzelansicht/Artikel/foeskonventionelle-energien-umlage-laege-bei-102-ctkwh.html)
Der Ansatz von Mathias Gößling ist nicht von der Hand zu weisen; mir ging es aber eher um die „Mikrostruktur“ der Debatte. Dass hier sehr gut organisierte Interessen eine sehr klare Botschaft professionell platziert haben, steht außer Frage. Dennoch ist es schon interessant nachzuschauen, wie es konkret gelingt, die vermeintlich viel besseren Argumente der Energiewende-Verfechter mit ihrem massiven Rückhalt in der Bevölkerung so wirksam auszuhebeln.
Ich habe nicht den Eindruck, dass in Deutschland die Kostendebatte so „dominiert“. In Österreich gab es bereits bei einem Zuschlag von 0,64 Cent/kWh einen großen Aufstand, der zu jahrelangem Ausbremsen des Ökostrom-Ausbaus führte. Deutschland ist jetzt bei über 6 Cent/kWh und dass es so nicht weitergehen kann, liegt eigentlich nahe.
Die Studie, wonach der konventionelle Strom sogar mit 10,8 Cent/kWh gefördert wird, habe ich gelesen. Ich bin aber von ihr enttäuscht:
1. Die Autoren der Studie haben die ihrer Meinung nach zu geringe Besteuerung von konventionellen Energien kurzerhand als „Subvention“ gewertet. (Damit errechnet die Studie nicht, wie behauptet, „was Strom wirklich kostet“ sondern was er kosten *sollte*.)
2. Die angenommenen CO2-Kosten von 80 EUR/t müssten von allen Menschen der Welt getragen werden, während die Kosten des Ökostroms allein von den deutschen Stromverbrauchern getragen werden müssen. Vom Verursacherprinzip her ist das gerechtfertigt, aber aus Sicht der Zahler ist der Ökostrom keineswegs „eigentlich günstiger“ sondern eine Spende für die Allgemeinheit.
Aus meiner Sicht verwenden im Diskurs über die Energiewende sowohl Verfechter als auch Gegner fragwürdige Argumente. Für seriös halte ich die Studien von Agora Energiewende und einigen anderen, die einen gangbaren und kostengünstigen Weg zu 100% Ökostrom gezeigt haben (der aber nicht der so populären Small-is-beautiful-Philosophie entspricht):
http://sedl.at/Stromzukunft#Weblinks
Mir scheint, dass die Gegner der Energiewende es eigentlich sehr viel schwerer haben, ihren Standpunkt durchzusetzen, weil er offensichtlich dem gesunden Menschenverstand widerspricht.
Dass ihr Agenda-Setting trotzdem so erfolgreich ist, liegt daran, dass sie
1. sich einig sind
2. sehr gute Marketing-Leute beauftragen
3. viel Geld ausgeben.
Das könnten die Befürworter der Energiewende auch. Tatsächlich würde es sie sogar sehr viel weniger Geld kosten, weil ihre Argumente viel plausibler sind: Das Kostenargument zum Beispiel ließe sich leicht widerlegen, indem man einfach nur das Wort „Kosten“ durch das Wort „Investitionen“ ersetzt.
Ein Blogbeitrag ohne weiterführende Links? Ich habe einen, wo schon genau ausgearbeitet wurde, was „die Agenda der Energiewende“ braucht:
http://www.agora-energiewende.de/themen/die-energiewende/detailansicht/article/12-thesen-zur-energiewende/
Ich halte es für richtig, auf die Kosten zu achten, denn eine teure Energiewende wird meiner Einschätzung nach nicht Wirklichkeit werden. Das bedeutet, die Stromnetze stärker auszubauen, denn ein Supergrid mit existierenden Stauseen in Skandinavien ist die billigste und effizienteste Form, den Ökostrom konkurrenzfähig gegenüber einem grundlastfähigen Kraftwerk zu machen. Solange die Netz- und Speicherkapazitäten nicht vorhanden sind, macht ein schneller Aufbau von Ökostrom-Kraftwerken, deren Strom dann nur tw. genutzt werden könnte und die Netze der Nachbarländer bis an die Grenzen belastet, wenig Sinn.