Gibt es wirklich eine Stromlücke?
Die von Politik und Industrie oft vorausgesagte Stromlücke wird es nicht geben. Das belegt eine Studie des Ingenieurbüros EU-Tech, die Greenpeace in Auftrag gegeben hat und heute in Berlin vorstellt. Die Deutsche Energieagentur (Dena) hatte im März behauptet, Deutschland drohe im Jahr 2020 eine Stromlücke von 12.000 Megawatt. Das entspräche der Leistung von 15 Großkraftwerken. Nach der neuen Greenpeace-Studie ist dagegen mit einer Überkapazität von etwa 12 Großkraftwerken zu rechnen.
Angesichts dieser Irreführung warnt Greenpeace vor weiteren falschen Behauptungen von Wahlkämpfern und der Energiewirtschaft. Diese wollen mit Hinweis auf die angebliche Stromlücke vor allem verlängerte Laufzeiten für Atomkraftwerke und eine viel zu hohe Zahl klimaschädlicher Kohlekraftwerke durchsetzen.
„Über die Öffentlichkeit schwappt derzeit eine Welle aus Wahlkampfpropaganda und Halbwahrheiten zur Energiepolitik“, erklärt Roland Hipp, Kampagnengeschäftsführer von Greenpeace. „Atomkraft muss keine Lücke füllen, sie hilft weder gegen den Klimawandel noch sorgt sie für sinkende Strompreise. Der Skandal um den maroden Salzstock Asse zeigt, dass die Probleme der Atomkraft nicht in den Griff zu bekommen sind.“
Die Energiedebatte dreht sich darum, wie der deutsche Kraftwerkspark modernisiert werden soll. Diese Situation bietet die Chance, die Energieversorgung umzubauen. Sogar die Szenarien der Bundesregierung belegen, dass der Atomausstieg Innovation und Investitionen für Erneuerbare Energien vorantreibt – und damit den Klimaschutz.
„In der Branche der Erneuerbaren Energien sind mittlerweile über 250.000 Menschen beschäftigt, mehr als in der Atom- und Kohle-Industrie zusammen“, so Hipp. „Wer den Wirtschaftsstandort Deutschland wirklich stärken will, der muss die Energieversorgung weiter modernisieren. Wir müssen weg von klimaschädlichen Kohlekraftwerken und hochriskanten Atomkraftwerken. Es droht keine Stromluecke, sondern eine Investitionslücke, wenn sich die Stromkonzerne dieser Entwicklung verweigern.“
„Unsere Studie belegt genau, wie die von der Energiewirtschaft finanzierte Dena-Prognose die tatsächlichen Kapazitäten so berechnet hat, dass sie eine Stromlücke konstruieren konnte“, sagt Andree Böhling, Energie-Experte von Greenpeace. Wesentliche Annahmen der Dena-Prognose
sind höchst fragwürdig. So geht sie von einem zu hohen Strombedarf im Jahr 2020 aus, der auch nicht den Zielen der Bundesregierung entspricht.
Dagegen nimmt sie eine deutlich geringere Leistung von Erneuerbaren Energien oder Kraft-Wärme-Kopplungs-Anlagen an als andere Studien. Zudem werden kürzere Laufzeiten bestehender Großkraftwerke angesetzt als in der Praxis. Dadurch kommt die Dena für das Jahr 2020 zu einer gesicherten Kraftwerksleistung, die um 22.000 bis 27.000 Megawatt niedriger liegt als bei vergleichbaren Berechnungen.
Bereits der Regierungsbericht zur Sicherheit der Stromversorgung vom August 2008 hat die Dena-Behauptungen widerlegt. Bereits dieser Bericht stellte fest, dass die Stromversorgung in Deutschland trotzt Ausstieg aus der Atomenergie und trotz Protesten gegen den Neubau von Kohlekraftwerken sicher ist.